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Hans Gert Graebe / Seminar Wissen /
2013-01-29


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Wissensordnungen im digitalen Wandel

Termin: 29.01.2013, 15.15 Uhr

Ort: Seminargebäude, SG 3-10

Abschließende Diskussion

Ankündigung

Dem Zusammenhang zwischen den Entwicklungspotenzialen des Menschen als Gattungswesen und den Lebensumständen und Entwicklungspotenzialen konkreter Menschen kann man sich mit dem Begriff der Sozialisierung nähern.

Im Aufsatz (Graebe 2005) werden in den aktuellen Entwicklungen hin zu einer "digitalen Gesellschaft" deutliche Verschiebungen der Bedeutung von zwei solchen Sozialisierungsformen diagnostiziert - der Sozialisierung von Arbeit (in einem engen Verständnis als "zweckmäßige Tätigkeit") und der Sozialisierung von Wissen.

Eben Moglen hat in mehreren Aufsätzen die Bewegungsform dieser Veränderungen immer wieder thematisiert und mit verschiedenen klassischen Ansätzen in Verbindung gebracht. Nicht zuletzt mit seinem "Dot Communist Manifesto" lotet er Gemeinsamkeiten und Differenzen mit klassischen Vorstellungen einer marxistischen Traditionslinie aus.

Dieses Spannungsfeld soll mit der anschließenden Diskussion weiter ausgemessen werden.

Literatur:

  • Eben Moglen: Verschiedene Texte
  • Hans-Gert Gräbe: Die Macht des Wissen in der modernen Gesellschaft. In: Utopie kreativ 177/178 (2005), S. 629-643. ( pdf)
Hans-Gert Gräbe, 22.01.2013

Bericht

In der abschließenden Diskussion stand noch einmal die genauere Einordnung der Moglenschen Argumentation [2] und allgemeiner die Bedeutung einer "amerikanischen kulturellen Linken" im Mittelpunkt. Es sei dahingestellt, ob ein solcher Begriff, entnommen aus Rortys Buch [4], zur Charakterisierung einer intellektuellen Strömung im heutigen Amerika überhaupt taugt. Jedenfalls kaum in dem Sinne, in dem ihn Rorty selbst gebraucht:

... er (Rorty) kritisiert die Tendenz der Erben der Neuen Linken, aus der Distanz über die Vereinigten Staaten zu theoretisieren, statt an der staatsbürgerlichen Aufgabe mitzuwirken, die nationale Zukunft zu gestalten. (Aus dem Klappentext von [4])

Auch prominente Vertreter jener intellektuellen Strömung halten das Links-Rechts-Schema für überholt, oder zumindest für kontraproduktiv:

Verstünden wir diese Veränderungen, könnten wir ihnen wohl widerstehen. Nicht „wir“ auf der Linken oder „ihr“ auf der Rechten, sondern wir, die wir keine besonderen Anteile an dem Kulturverwertungsbetrieb halten, der das zwanzigste Jahrhundert prägte. Egal ob Sie links oder rechts stehen – wenn Sie in dieser Hinsicht neutral sind, wird die Geschichte, die ich zu erzählen habe, Ihnen Sorgen bereiten. Denn die Veränderungen, die ich beschreibe, betreffen Werte, die beide Seiten unseres politischen Spektrums für grundlegend halten. (Lawrence Lessig im Vorwort zu [1])
Eben Moglen mit seinem klaren Bezug auf das "Kommunistische Manifest" als klassischen marxistischen Text sieht das offensichtlich anders und gehört damit wohl zur (aus Rortys Perspektive) "linken amerikanischen Linken".

Andererseits sind Wurzeln der Argumentationen [3] im anarchistischen Gedankengut nicht zu übersehen, womit die Brücke zu unseren Fragen der kritischen Aufnahme des Marxschen Erbes gerade auch bezüglich der Konsequenzen eines Menschenbilds auf der Höhe der 10. Feuerbachthese geschlagen ist. Ein Menschenbild, das sich in den "Umbrüchen der heutigen Zeit" bewähren oder auch erst herausbilden (H.-P. Dürr: "Learn to think in a new way" [3]) muss.

Was aber ist mit "Umbrüchen" dabei überhaupt gemeint? Ein Menschenbild als "Fels in der Brandung" (so letztlich und apodiktisch Jürgen Mittelstraß' Thesen), das diesen "Umbrüchen" trotzt, also selbst nicht auf dem Prüfstand steht? Und was hat es mit der im "Manifest" diagnostizierten Wandlungsfähigkeit, des "fortwährenden Revolutionierens sämtlicher gesellschaftlicher Verhältnisse" in diesem Kapitalismus zu tun?

Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren. Unveränderte Beibehaltung der alten Produktionsweise war dagegen die erste Existenzbedingung aller früheren industriellen Klassen. Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen {8} aus. Alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen. ( Quelle)

Ist in solch dauerndem Umbrechen ein Begriff "Kapitalismus" als etwas übergreifend Beständiges noch zu gewinnen? Wie und unter welchen Voraussetzungen? Muss dazu nicht erst einmal diese Ebene technologischer Änderbarkeit (und damit Beliebigkeit - Fragezeichen) begrifflich gewonnen werden? Fragen über Fragen, in deren Diskussion ein Problemkreis immer wieder hervortrat: Wie ist die Dynamik des Verhältnisses zwischen dem "Menschen als Gattungssubjekt" und den individuellen menschlichen Subjekten beschaffen? Wobei die Frage nicht nur auf die bestehenden Widersprüche und Spannungsverhältnisse abzielt, sondern auch auf die Bedingtheiten und Möglichkeiten der Reflexion dieser Widersprüche und Spannungsverhältnisse und vor allem des bewussten, vernünftigen, praktischen Prozessierens derselben.

Das Seminar war angetreten, ein solches Programm am Gegenstand der "nachhaltigen Informationsgesellschaft" abzuarbeiten. Nach einem Semester sind wir in dieser speziellen Frage nicht viel weiter gekommen, die Konturen der Art einer Antwort wurden jedoch erheblich geschärft. Im Sommersemester wird auf die "spezielle Frage" selbst noch einmal zurückzukommen sein.

  • [1] Lawrence Lessig: Freie Kultur. Open Source Press, München 2006.
  • [2] Eben Moglen: The dotCommunist Manifesto. 2003.
  • [3] The Potsdam Manifesto. 2005.
  • [4] Richard Rorty: Stolz auf unser Land. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1998.
Hans-Gert Gräbe, 10.03.2013


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