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Hans Gert Graebe / Seminar Wissen /
2012-11-27


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Hegel, Foucault - Was ist Wissen? Geschichte und Geschichten in "modernen" Gesellschaften.

Termin: 27.11.2012, 15.15 Uhr

Ort: Seminargebäude, SG 3-10

Vortrag und Diskussion mit Simon Johanning

Ankündigung

Der in den letzten Seminaren gewonnene Informationsbegriff, der mit Peter Janich auf "gelingende menschliche Kommunikation" auszurichten ist, hat viel mit Kommunikation, Übersetzungsprozessen und Sprachverständnis zu tun, also letztlich einem umfassenden Verständnis von "Storytelling" und einem besseren Verständnis, was denn überhaupt "Verständnis" ist. Wo können solche Fragen besser betrachtet werden als beim Erzählen von Geschichten selbst und der Art, wie aus diesen vielfältigen Geschichten, die ja Aspekte aus den verschiedenen Erfahrungshorizonte von Akteuren in ihren "realweltlichen Praxen" wiedergeben, die eine Geschichte wird, von der wir alle (in gewissem Maße) überzeugt sind, dass sie sich genau so zugetragen haben muss.

Auf der Basis dann auch die allgemeinere Frage, welche der dort beobachteten Phänomene verallgemeinerbar sind und erlauben, sich einem Begriff von "Wissen" zu nähern.

Texte (neben den schon genannten):

  • Helga Schultz: Die kulturalistische Wende. Eine kritische Bilanz. Lifis online 19.11.09
  • Walter Benjamin: Geschichtsphilosophische Thesen. html
  • Gerhard Banse: Technisches und Kulturelles. Anmerkungen zu Interdependenzen. Lifis online 08.03.10
  • Hans-Gert Gräbe: Anmerkungen zur Summer School 2012 der Berlin Group of Radical Thinking, 10.–11. August 2012. pdf
Folien zum Vortrag

Seminararbeit "Der Realität auf der Spur: Eine Reise ohne Ziel? Eine Kritik der Realismusvorwürfe an die wissenschaftliche Modellierung"

Hans-Gert Gräbe, 25.11.2012

Anmerkungen

Im Vortrag wurde, komprimiert auf eine Stunde, ein "Ritt ums Schlachtfeld" unternommen, auf dem in den letzten 200 Jahren versucht wurde und wird, eine den technischen Aktivitäten der Menschheit adäquate Reflexionshöhe zu erreichen. Die "Gewissheiten" eines Kant und Hegel sind dabei Ausgangspunkt, aber gerade im 20. Jahrhundert mehrfach umgewendet durch einen cultural turn, einen linguistic turn, eine Postmoderne als "Bruch mit gescheiterten Entwürfen und Hoffnungen der europäischen Moderne seit der Aufklärung", einen Poststrukturalismus als "Verschmelzung des postmodernen Paradigmas und des linguistic turn". Doppelt interessant für unsere Debatte, da in all diesen Wenden die Praxen von Science (als Gegenpol zu Humanities) und der daraus entspringenden Technik eine immer marginalere Rolle spielen, eine solche alternative Antwort zu den Ansätzen des historischen Materialismus also zunehmend an den brennenden Fragen der Zeit vorbeigeht. Gründe genug, sich im Weiteren den Ansätzen des historischen Materialismus intensiver zuzuwenden, der davon ausgeht, dass die notwendigen organisatorischen Antworten auf die Herausforderungen neuer Technologien viel stärker in der "Beherrschung der Macht der Agentien" (MEW 42, S. 592) zu suchen sind.

Johanning startete mit Benjamins "Geschichtsphilosophischen Thesen", die sich mit der Frage auseinandersetzen, was Geschichten mit Geschichte zu tun haben. Zentrale Aussage - es ist immer das Jetzt, welches die Form unserer Geschichten prägt, denn der Grund für Storytelling sind unsere heutigen Bedürfnisse und Auseinandersetzungen. Lernen aus der Vergangenheit bedeutet also, das wirkliche Bild des Vergangenen der Vergangenheit immer von neuem zu entreißen.

Hierbei steht Geschichte (als Kontext unserer Geschichten) oft im Weg, denn sie ist die Geschichte der Sieger, die wirklichen Fundgruben für das Jetzt aber oft die genauere Analyse der verlorenen Schlachten. Dafür sind gelegentliche Brüche im Kontext erforderlich, der jenen den neuen Reflexionsbedürfnissen anpasst - "Geschichte ist Gegenstand einer Konstruktion, deren Ort nicht die homogene und leere Zeit, sondern die von Jetztzeit erfüllte bildet." Erforderlich wird damit ein "Aufsprengen des Kontinuums der Geschichte" und die Prägung eines Epochenbegriffs, auf den wir zurückkommen werden müssen. Der (Benjaminsche) Historiker ist uns dabei wenig Hilfe, denn er verabsolutiert die Jetztzeit.

Im zweiten Teil des Vortrags ging es um die mannigfachen "Wenden" der Kulturtheorie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die versucht, "Kultur als ‚umfassende Lebensweise‘, deren Erforschung Strategien im Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse bereitstellt", als eigenständige Erklärungsgröße zu etablieren. Dieser Schritt zurück "von der Erklärung der Welt zur Deutung der Welt über Dekodierung sinngebender Phänomene" ist ambivalent, gibt er doch die Erklärungskraft der Methoden moderner Science zugunsten einer stärkeren Empirie (und damit letztlich Mystik) preis. Zusammen mit dem "Kippen der Zukunftserwartung" seit Mitte der 70er Jahre (Berichte des Club of Rome, mannigfache Technikkritik auch aus der Technikphilosophie selbst - etwa J. Weizenbaums "Macht der Computer und Ohnmacht der Vernunft", siehe die Besprechung des Buchs von Klaus Kornwachs) führt das zu einem Fatalismus, der schlicht kontraproduktiv ist angesichts der Probleme, vor denen die Menschheit steht mit ihren Versuchen zu "sein wie Gott" (1. Mose 3).

Damit verbunden ist allerdings auch ein Abgehen von freimaurerischen Traditionen der "großen Wahrheiten" und Gewissheiten, die nicht nur die Werke von Kant, Hegel und Marx, sondern auch die traditionsmarxistischen Praxen des 20. Jahrhunderts prägen. Es gilt, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten, und insbesondere diese "epistemologischen Aspekte der Postmoderne" in einem neu zu gewinnenden historischen Materialismus aufzunehmen. Es bleibt zu diskutieren, ob und inwieweit dies mit einer "Methodik der ‚neuen‘ Geschichtswissenschaft" und ihrer archäologischen Methode geschehen kann mit den vier wichtigen Punkten

  • von einer Gesellschaftsgeschichte zu einer Gedächtnisgeschichte,
  • von einer Quellenforschung zu einer Diskursanalyse,
  • Möglichkeit, quellenkritisch zu vergangenen Wirklichkeiten jenseits der Erinnerungen und Textualisierungen vorzudringen,
  • Zugang zu vergangener Wirklichkeit durch Arbeit an Schichten der Erinnerung.
Dies stellt auch etablierte Methodiken von Science auf den Prüfstand, denn ein solcher Zugang rückt
  • nicht Erklärung des ‚Fortschritts des Wissens‘, sondern der Strukturen, die die ‚Bedingungen der Möglichkeiten‘ formen,
  • nicht etwas durch Gegensatz definiertes, sondern dadurch, was es ist, oder wie es funktioniert,
  • Formationsgesetze, die Bildung von Gesamtheiten (Wissen, nicht Wissenschaft) von Aussagen in diskursiven Formationen erlauben,
in den Mittelpunkt. Diese Epistemiken "können in allen Bezügen und Formen des Wissens auftauchen, die einer Entwicklung unterliegen", was einer Wiedergewinnung der dialektischen Methode auf der Höhe der Zeit entspräche.

Hans-Gert Gräbe, 2.12.2012


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