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Hans Gert Graebe / Seminar Wissen /
2010-11-08


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Alte und neue Methoden zur Lenkung und Steuerung von Meinung - ein Ansatz

Termin: Montag, 08.11.2010, 17.15 Uhr

Ort: Uni Leipzig, Universitätsstraße 7, Seminargebäude, Raum 1-10

Referat: Ingo Groepler-Roeser - Gesellschaft für digitale Medien, Kunst und Kultur Leipzig

Ankündigung

Neue technologische Herrschaftsinstrumente, wie Moderation und differenzierte technische Selektion im Spannungsfeld gesellschaftlich-digitaler Wandlungsprozesse durch aufkommende 'bürgernahe' Neo-Eliten in der Demokratie vereinfachen das System zur Herrschaftssicherung und konservieren es auf lange Sicht in einer kaum zu erfassenden Heterogenität.

"Alles nicht neu!" So lautet im Ergebnis der rationalen Wahrnehmung die Erkenntnis macht- und herrschaftseffizienter Instrumentarien.

Doch wie gehen die Bürger damit um? Dass es an Bildung fehlt, wissen wir nicht erst seit zwei Jahren, und trotzdem scheint es einen regelrechten Hype in technologisch-modernen Aufklärungsfragen zu geben, um die sich alle politischen Parteien reißen. Die Sinne des Einzelnen sind zwar sensibilisiert für gute Marketingkampagnen aller Netzdemokraten, dennoch scheinen die rasanten Veränderungen derart komplex zu sein, dass moderne Zensurmethoden im Dickicht der "Netiquette" und "Gesetze" unterzugehen drohen.

Es soll vom Standpunkt des Bürgers her analysiert werden, wie und in welchem Umfang sogenannte offene Foren und Plattformen überhaupt für Netzwerkfreiheit tauglich sind und welche Voraussetzungen (Know-how, Technik, Qualifikation, Status) für eine ernsthafte digitale Demokratie gegenwärtig notwendig wären. Insbesondere E-Petitionen, Partizipationsblogs und Arbeitskreise im Netz scheinen in hohem Maße zu einer eher langweilenden Veralltäglichung (Indienststellung) an sich wichtiger meinungsbetonter Prozesse in der parlamentarischen Demokratie beizutragen.

Selbst sogenannte systemoppositionelle Kreise koppeln bereits vor dem beanspruchten Wandel zur Offenheit ihre Informationswerkzeuge an die technische Richtung als Mitteilung ohne Response - ein quasi retardierendes Moment. Es soll anhand einer Systematisierung in einem Impulsreferat mit Foliendarstellung versucht werden, im Gespräch neben den dargestellten Kontroll- und Steuerungsmechanismen weitere Instanzen ausfindig zu machen, die als Beteiligung am gesellschaftlichen Gespräch zwischen den untergliederten Herrschafts- und Partizipationsebenen fehlgedeutet werden und den durchaus parlamentarisch übergreifend ernstgemeinten Ansatz zum digitalen Wandel ad absurdum führen könnten und damit zu völlig neuen, schwer greifbaren Mechanismen gelangen.

Ingo Groepler-Roeser, 2.11.2010

  • Folien und Literaturverweise zum Vortrag
  • Pappert, Steffen (2003): Öffentlicher Sprachgebrauch in der DDR – Untersuchungen von Interviews mit „Werktätigen“ im DDR-Rundfunk. Gesprächsforschung – Onlinezeitschrift zur verbalen Interaktion 4/2003, S. 50-66. pdf
  • Hannay, Alastair (1980):Unvoreingenommen und radikal kritisch? In: Versuchungen. Aufsätze zur Philosophie Paul Feyerabends, Hrg: Hans Peter Duerr, Erster Band, editionsuhrkamp(Bd. 44, S. 200ff.), Frankfurt am Main 1980,
  • Rolf Schneider (1994):Das Schweigen der Schafe. In: Merkur, 48. Jg. 1994, Nr. 543/6
Nachsatz

Mit Vortrag und Diskussion wurde eine andere Facette der Diskussion aus dem letzten Seminar aufgenommen - welche Rolle spielt die öffentliche Meinung (dort auch mit der Metapher "Teppich" versehen) für den Zusammenhalt einer Gesellschaft, welche Verbindung besteht zwischen dieser und den eigenen Erfahrungen und Begründungszusammenhängen und welchen Änderungs- und Stabilisierungsprozessen ist diese öffentliche Meinung selbst unterworfen.

Die Bedeutung der Existenz einer solchen öffentlichen Meinung für den kommunikativen und auch sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft ist wohl kaum zu überschätzen, ermöglicht er doch den Rückgriff auf gesellschaftlich akkumulierte Erfahrung an all den Stellen, wo die eigene Erfahrung nicht weit genug reicht, und kann in praktischen Handlungssituationen als "Default"-Begründung herangezogen werden ("ich habe es doch so wie alle gemacht"). Die Problematik einer solchen öffentlichen Meinung, gerade auch einer pathischen, hat Adorno in seinem Aufsatz "Meinung Wahn Gesellschaft" ausführlich thematisiert.

Im aktuellen Seminar ging es unter der Überschrift "Zensur" vor allem um das Spannungsfeld und die Dynamik privater Differenzen zu dieser öffentlichen Meinung. Solche Differenzen waren im letzten Seminar in einer Reihe von Fragen im Umfeld "digitale Gesellschaft" von den Teilnehmern festgestellt worden. Jede Gesellschaft entwickelt starke Mechanismen, die Wirkung abweichender Meinungen zu dämpfen, besonders wenn sie zentrale gesellschaftliche Setzungen in Frage stellen. Diese reichen von der Marginalisierung solcher Meinungen in der öffentlichen Diskussion über soziale Ausgrenzungen der Träger dieser Meinungen bis hin zur direkten Verfolgung dieser Träger.

Änderungen der öffentlichen Meinung haben also eine hohe Schwelle zu überwinden, ehe sie gesellschaftlich wirkmächtig werden. Gelingt dies aber, so ist die Wirkung mit der eines Dammbruchs zu vergleichen - hat sich die neue Sichtweise erst einmal bis zu einem gewissen Grad durchgesetzt, dann wird es zunehmend einfacher, die neue Sichtweise aufzunehmen und zu vertreten. Dies ist wohl der Kern dessen, was unter dem Begriff "Deutungshoheit erlangen" zu fassen ist oder in anderen Diskursen als "Erlangung der kulturelle Hegemonie" bezeichnet wird. Holzkamp hat mit seinem Ansatz des "Fünfschritts" ein genaueres Beschreibungsschema eines solchen Dominanzwechsels vorgelegt.

Es wird zu diskutieren sein, wie weit solche Dominanzwechsel mit dem Übergang zu einer "digitalen Gesellschaft" zu erwarten sind und ob sich Momente einer solchen Dynamik in den aktuellen Auseinandersetzungen bereits abzeichnen.

Literatur:

Hans-Gert Gräbe, 10.11.2010


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