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Hans Gert Graebe / Seminar Wissen /
2010-05-03


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Die "digitale Revolution" als technologischer Umbruch im Vergleich

Termin: Montag, 03.05.2010, 17.15 Uhr

Ort: Uni Leipzig, Universitätsstraße 7, Seminargebäude, Raum 3-10

Einführung in die Diskussion: Hans-Gert Gräbe

Ankündigung

Wir haben bisher herausgearbeitet, dass der Übergang zur "digitalen Gesellschaft" auch mit einem größeren technologischen Umbruch zu tun hat, der neue Möglichkeiten, Berufsbilder und Unternehmen hervorbringt und hervorgebracht hat und zugleich alte Möglichkeiten, Berufsbilder und Unternehmen entwertet.

Technologische Umbrüche - ob vergleichbarer Dimension, sei dahingestellt - hat es in den 300 Jahren Existenz kapitalistischer Verhältnisse bereits mehrfach gegeben und es könnte für die weitere Diskussion um den aktuellen Umbruch interessant sein, einen genaueren Blick auf jene Umwälzungen zu werfen.

Die damit offensichtlich verbundene Wellenförmigkeit gesellschaftlicher Entwicklung - aus der Natur kennen wir solche Entwicklungszyklen zur Genüge - verlangt eine genauere Identifikation solcher Dimensionen. Eine von ihnen liegt der Theorie der Kondratjew-Wellen zu Grunde, einer empirischen Entdeckung von Nikolai Kondratjew in den 1920er, auf deren Basis er die tiefe Technologiekrise Ende der 1920er Jahre voraussagte. Die Wellenförmigkeit technologischer Entwicklungen als Ursache dieser Wellen brachte erstmals Joseph Schumpeter Ende der 1930er Jahre in die Diskussion.

Inzwischen gibt es nicht nur Überlegungen dazu, sondern auch zur Vernetzung dieser Wellen mit anderen zyklischen Prozessen der gesellschaftlichen oder individuellen Entwicklung wie dem Wechsel von Generationen, der Phasen der Individualentwicklung und vielem mehr. Darüber werde ich - nicht zu lange - berichten.

Nicht eingehen werde ich auf meinen Aufsatz "Wie geht Fortschritt?", den ich gleichwohl als weitere Lektüre empfehle.

Links:

Hans-Gert Gräbe, 27.04.

Nachbemerkungen

Die Kondratjew-Wellen sind ein umstrittenes Konzept, weil sich mit der vage zu beobachtenden Empirie keine allgemein anerkannten Konzepte verbinden lassen. Dass es solche Konzepte nicht gibt, liegt möglicherweise daran, dass sie sich erst aus Überlegungen diskursübergreifenden Charakters ergeben würden, wenn ökonomische, technologietheoretische, technikhistorische, wissenschaftstheoretische und wissenschaftshistorische Ansätze zusammen gedacht werden. An ein solches interdisziplinäres Projekt hat sich allerdings noch keine wissenschaftliche Gemeinde erkennbarer Bedeutung gemacht, so dass die Fundstücke zum Thema notwendig Bruchstücke sind. Es ist auch schwierig, diese Phänomene analytisch herauszupräparieren, da sich in realen Prozessen ja vielfältige Dynamiken überlagern. Insbesondere finden auch in der heutigen global vernetzten Welt technologische Entwicklungen ungleichzeitig statt - die möglichen Dynamiken in Ländern wie China oder Brasilien mit großen Potenzialen einer nachholenden kapitalistischen Modernisierung, wie sie in den "entwickelten" Ländern in den 1930er-1960er Jahren stattgefunden hat, sind ganz andere als in ebendiesen "entwickelten" Ländern.

Die Bruckstücke habe ich zunächst versucht zu präsentieren, wobei schon ein kurzer Blick auf die Grafiken deutlich macht, dass sich die Autoren allein über die Wellenlänge dieser Phänomene von gut 50 Jahren einig sind. Historisch lässt sich innerhalb einer Phase grob der folgende Ablauf erkennen: Ein Bündel neuer technologischer Möglichkeiten, das sich meist um eine - in der Diskussion ist allerdings in jedem Fall umstritten, welche - Basistechnologie gruppiert, wird in randständigen Bereichen der bestehenden gesellschaftlichen Strukturen von Kreativen ausprobiert und entwickelt. In einer nächsten Phase entwickeln diese technologischen Möglichkeiten eine Dynamik, die sie für breitere Kreise der Gesellschaft bedeutsam werden lassen. Diese Dynamik trifft auf den Widerstand der Etablierten, die sich diesen neuen technologischen Möglichkeiten widersetzen, so dass ein Ringen um Bedeutungshoheit beginnt. Auf der Höhe dieses Ringens ereignet sich so etwas wie ein Dammbruch und die neuen technologischen Möglichkeiten brechen an breiter Front durch. In einer folgenden Phase werden gesellschaftliche Institutionen - und darunter insbesondere die bestimmende Form der Produktionsorganisation - längs einer Leitidee (Durchsetzung einer Sozialgesetzgebung; New Deal; soziale Marktwirtschaft, Fordismus; Taylorismus) umgebaut, in deren Verlauf die Kreativen zu den neuen Etablierten werden - es findet ein Wechsel oder wenigstens eine Bedeutungsverlagerung im Lager der Etablierten statt. Die Schlange häutet sich. Einen solchen Wechsel beschreibt Holzkamp methodisch in seiner Theorie der Fünf Schritte.

Die Phasen lassen sich also sowohl über das durchbrechende Technologiebündel (die klassische Beschreibungsform der Kondratjew-Wellen) als auch die sich neu etablierende bestimmende Form der Produktionsorganisation charakterisieren. Auf diese zweite Bestimmungsform konzentrierte sich dann auch die weitere Diskussion. Nach meinem Verständnis kann man die verschiedenen Kondratjew-Wellen unter diesem Blickwinkel mit den Begriffen Mechanisierung, Industrialisierung, Formalisierung, Flexibilisierung, Vernetzung charakterisieren, wobei der aktuelle Umbruch etwas mit der Durchsetzung vernetzter Formen der Produktionsorganisation (in Erweiterung der schon lange bestehenden Vernetzung auf der Güterebene über Märkte) zu tun hat.

In dieser Systematik lassen sich zwei interessante Momente herauslesen. Erstens setzt die jeweils nächste Welle die Etablierung der Produktionsorganisationsformen der vorangegangenen voraus - keine Industrialisierung ohne vorangegangene Mechanisierung, keine Formalisierung ohne vorangegangene Industrialisierung usw. Zweitens ist in dieser Abfolge eine Höherentwicklung zu immer komplexeren Vernetzungsformen der Produktionsorganisation zu erkennen. Insofern könnte die Wellenförmigkeit dieser Entwicklungen Teil eines umfassenderen Transformationsprozesses mit einer Laufzeit über mehrere hundert Jahre sein - den andere mit dem Begriff der Herausbildung eines Anthropozäns oder einer Noosphäre in Verbindung bringen.

Links:

Hans-Gert Gräbe, 06.05.2010
OrdnerVeranstaltungen