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Philosophie und Informatik - Eine Debatte

29.02.2012, 16:00 Uhr in der Johannisgasse 26, Raum 1-22

Grundlagen einer Praxisphilosophie

Ankündigung

Die Grundlagendebatte vom letzten Treffen soll noch einmal aufgenommen und mit Aspekten einer praxisphilosophischen Diskussion abgeglichen werden.

Hans-Gert Gräbe, 22.01.2012

Bericht

Am Anfang stand noch einmal eine Bestandsaufnahme der bisherigen Diskussion: Welt als "Etwas", das sich nur sinnlich-affektiv erschließt, jede Praxisphilosophie also ihre Tauglichkeit letztlich am Grad von Kohärenz zwischen den privaten sinnlich-affektiven Erfahrungen und den Beschreibungen derselben messen lassen muss. Dieser Satz blieb so stehen, obwohl jedes Wort darin eigentlich weiter nach seinen Semantiken zu befragen wäre. Denn dieses Mal ging es - im Lichte eines Verständnisses von Informatik als einer Wissenschaft, die sich (u.a.) mit der Beschreibung von Computerprozessen als Artefakten befasst, die selbst Beschreibungen erzeugen - noch einmal stärker um die Annäherung an die Formen von Beschreibung, aus denen sich unser Weltverständnis konstituiert.

Da von Computern erzeugte Beschreibungen Artefakte zur interpersonellen Kommunikation sind, richtete sich ein Blick zunächst auf diesen generellen Gegenstand. Wenn sich aber (privates) Denken als Beschreibung von Welt vollzieht, die sinnlich-affektiven Erfahrungen also bereits an dieser Stelle in Sprache übersetzt werden, dann kann Kommunikation nur der Versuch einer intersubjektiven Beschreibung dieser privaten Beschreibungen sein, ist also bereits auf dieser elementaren Ebene (u.a. der von Computern erzeugten Beschreibungsartefakte) Beschreibung von Beschreibung und damit Resultat eines weiteren Übersetzungsprozesses der (bereits als sekundär gegenüber "der Welt" erkannten) "primären" privaten Beschreibungen von Welt, die letztlich leitend im privaten Handeln (und privaten Verantworten) sind.

Eine solch einseitige Sicht provoziert natürlich sofort den Einwand, dass es sich nicht um eine Einbahnstraße handelt, die Beschreibungsartefakte ja selbst Teil von Welt sind und auf diese zurückwirken. Die hierfür übliche Unterscheidung zwischen erster und zweiter Natur des Menschen, oder zwischen Natur und Kultur, hatten wir bereits früher als eher hinderlich erkannt, dieses komplexe Wechselverhältnis weiter aufzurollen, da wir die "zweite Natur" selbst als mannigfaltig statifiziert wahrgenommen hatten. Hier schien uns, wenigstens an diesem Tag, ein Zugang über die Schärfung der Begrifflichkeit "Sprache" (und, dies führe ich NB an, obwohl es noch nicht so deutlich wurde, "Übersetzung") ergiebiger zu sein.

Eine weitere Quelle, einen solchen Zugang zu favorisieren, ergab sich aus unseren Debatten um "Glaube" und "Wissen", mit dem wir uns den (für uns offensichtlichen) diskursiven Differenzen zwischen "MINT-lern" und "anderen" versucht hatten zu nähern. Eine besondere Rolle spielt hierbei offensichtlich das Verhältnis zur Mathematik als Sprache. Was also ist Mathematik als Sprache? Offensichtlich ist sie weder eine allgemein anerkannte Sprache noch eine Spezialsprache. Ersteres ist sie allein deshalb nicht, weil in der Alltagssprache selten genug von den kompakten Ausdrucksmöglichkeiten der Mathematik Gebrauch gemacht wird. Spezialsprache ist sie aber auch nicht, da - zumindest in einem modernen Gesellschaftsverständnis - davon ausgegangen wird, dass die Mühen zur Verbreitung mathematischen Argumantationsvermögens seit den Zeiten der Rechenmeister wie Adam Ries inzwischen Früchte getragen haben, im Sinne eines "state of the art" als - insbesondere in Rechtsgeschäften - nicht weiter zu betonender Selbstverständlichkeit.

Dieser Blick auf Mathematik als Sprache macht zwei Dinge deutlich

  1. die Kontextualität von Sprache als Kommunikationsmittel, also das Vermögen der Kommunizierenden, in dieser Sprache zu kommunizieren, und
  2. gerade am Beispiel der Mathematik das historische Werden eines solchen Kontexts.
Dieses historische Werden ist nur als komplexer Entfaltungsprozess von Sprache, Sprachvermögen, Sprachvermögenden und Kontext zu verstehen, welche Semantiken im Einzelnen auch mit jedem dieser Bezeichner letztlich zu verbinden sind.

Mit Blick auf "MINT-Sprache" und "Alltagssprache" stellten wir weiter fest, dass für einigermaßen umfassendes kommunikativ gekoppeltes Handeln Beschreibungen in beiden Sprachen erforderlich und möglich sind, allein erlaubt Mathematik als Sprache "präzisere" und "kompaktere" Ausdrücke (was das auch immer bedeutet). Wichtig ist weiter, relevante Problemstellungen dennoch auch in der Alltagssprache auszudrücken, also Übersetzungsarbeit aus einer Sprache in die andere zu leisten, wenn dies kommunikativ erforderlich ist. An dieser Stelle wird Sprache als sich wiederholende relative Konstruktion im Spannungsfeld zwischen Kommunizierenden und Kontext sichtbar, Beschreibung von Sprache als was auch immer sollte sich also zunächst auf die Beschreibung einer solchen relativen Konstruktion konzentrieren, ohne dabei die Notwendigkeit von Übersetzungsprozessen zwischen solche relativen Konstruktionen aus dem Auge zu verlieren. Dies wollen wir beim nächsten Treffen weiter vertiefen.

In der Diskussion um "Glaube" und "Wissen" wurde auch deutlich, dass es sich bei der Relativierung von Sprachkontexten möglicherweise um ein Phänomen der Neuzeit handelt, da die Unterscheidung zwischen "Allgemeinsprache" und "Spezialsprache" vorher weitgehend nachvollziehbar war, der Kontext der "Allgemeinsprache" religiös-theologisch und damit letztlich normativ-ethisch reproduziert wurde und "Spezialsprachen" immer als Sprachen spezieller Gemeinschaften erkennbar waren. Heute gibt es mit der "Alltagssprache" und der "MINT-Sprache" wenigstens zwei "Allgemeinsprachen", wobei die erstere vor allem zur Kommunikation über die Reproduktionserfordernisse unserer sozialen Beziehungen und die zweitere vor allem zur Kommunikation über die Reproduktionserfordernisse unserer technisierten Um- und Mitwelt dient. Dass dies etwas mit den weiter als zu wenig ausdrucksstark zurückgewiesenen Untersteilung in "erste" und "zweite" Natur zu tun hat, liegt auf der Hand und wir weiter zu explizieren sein.

Dass dieses "babylonische Sprachgewirr" ganz wesentlich an den Grad der Arbeitsteilung gekoppelt ist, muss sicher nicht extra betont werden. Dass es eine spezifische Bewegungsform des "Korngrößendilemmas" - einer der zentralen und meist gescholtenen Begriffe der "Chemnitzer Thesen" (1) - ist, möchte ich allerdings schon in Parenthese anmerken.

  • (1) Hans-Gert Gräbe: Wissen und Bildung in der modernen Gesellschaft (Chemnitzer Thesen). Mai 2005. pdf
Hans-Gert Gräbe, 01.03.2012


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