[Home]
Hans Gert Graebe / Philo Debatte /
2011-11-30


Home
Neues
TestSeite
DorfTratsch

Suchen
Teilnehmer
Projekte

GartenPlan
DorfWiki
Bildung+Begegnung
DorfErneuerung
Dörfer
NeueArbeit
VideoBridge
VillageInnovationTalk


AlleOrdner
AlleSeiten
Hilfe

Einstellungen

SeiteÄndern







Philosophie und Informatik - Eine Debatte

30.11. 15 Uhr in der Johannisgasse 26, Raum 1-22

Thema: Glauben, Wissen, Gestaltungsmacht und die Bedeutung der "Wissenden" im Sinne von Mittelstraß in der heutigen Zeit.

Bericht

Eingangs rekapitulierte ich die bisherigen Überlegungen, zwischen "Denken", "Denken-Denken" und "Denken-Denken-Denken" zu unterscheiden, und die kontroverse Debatte über Glauben und Wissen - Gemeinsames und Trennendes - vom letzten Mal, ausgelöst durch den Aufsatz von Hubert Laitko über "400 Jahre western science" und die dort vorgenommene Unterscheidung zwischen vorwissenschaftlichem und wissenschaftlichem Denken sowie Mittelstraß' Aufsatz in der FAZ.

Die Ebenen "Denken", "Denken-Denken" und "Denken-Denken-Denken" wurden ausführlicher debattiert, und ich möchte hier zunächst die Grundüberlegung noch einmal kurz skizzieren. Sie geht davon aus, dass Menschen als "autonome Agenten" mit je eigenem Reflexionsvermögen dieses zunächst einsetzen, um sich je eigene Weltbilder zu erschaffen, die für ihr Tätigwerden handlungsleitend sind ("Denken" mit individuellen Weltbildern als Basis). Auf dieser Basis ist concurrentes Agieren möglich, aber Menschsein definiert sich wesentlich sozial, über kooperatives Agieren. Dieses kooperative Agieren muss durch angemessene Kohärenz der Vorstellungen unterstützt werden, und so ergibt sich zunächst die Frage, wie sich diese individuellen Weltbilder konstituieren. Damit gilt es, das "Denken zu denken" und dazu als Basis ein gemeinsames Bild vom Menschen, ein "Menschenbild" zu entwickeln. An dieser Stelle beginnt (in ihrem Selbstverständnis) Philosophie, und sie hat in ihrer mehrtausendjährigen Geschichte zwei grundlegend verschiedene Antworten (Menschenbilder) gegeben: eine dualistische ("Welt des Geistes" vs. "Welt der Dinge") und eine monistische ("Geist als Teil der Welt"). Wir hatten allerdings festgestellt, dass diese Unterscheidung nicht zu früh im Diskurs getroffen werden sollte, denn auch ein monistischer Zugang muss sich mit der Differenz zwischen "Welt des Geistes" und "Welt der Dinge" auseinandersetzen. Wir hatten allerdings - gerade auch mit Blick auf die Erfahrungen der Informatik - bereits sehr früh die "Welt des Geistes" durch die "Welt der Beschreibungen" ersetzt, da solche Beschreibungen im Zuge der weiteren Technisierung und Informatisierung von Welt als Technik und Technologie zunehmend prozesshaft handlungsrelevant werden. Gerade dies problematisiert Mittelstraß mit seiner "schönen neuen Leonardo-Welt". Unsere Überlegung war weiter, dass Philosophie als "Denken-Denken" nicht ausreicht, sondern über die Einbettung des "Denken-Denkens" und damit dieser "Welt der Beschreibungen" in die "reale Welt" selbst zu reflektieren ist, wir uns also auf die nächsthöhere Denkebene erheben müssen, um "Denken Denken zu denken". Als Basis hierfür reicht ein gemeinsames Menschenbild nicht aus, da dieses allein in der Lage ist, die Kohärenz menschlicher Kommunikation zu begleiten. Dies - das Prinzip "global denken, lokal handeln", gemeinsames Denken ohne Aufgabe einer hypertrophierten Autonomie des Subjekts - reicht für kooperatives Handeln nicht mehr aus; es wird nicht nur die Kohärenz der Menschenbilder, sondern die Kohärenz der Weltbilder benötigt. Wir sind unvermittelt bei der Frage gelandet, wie sich aus philosophischer Sicht ein Kohärenzprozess von Weltbildern zu einem gemeinsamen Weltbild darstellt, mit dem wir Informatiker heute bereits - weitgehend unreflektiert - praktisch zu tun haben.

So weit der Ausgangspunkt unserer Diskussion, die sich an Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Glauben und Wissen abstieß. Am Ende hatten wir mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede gefunden, was natürlich Raum für die weitere Diskussion eröffnet, nun auch die Unterschiede deutlicher ins Visier zu nehmen. Denn die Gemeinsamkeiten hatten sich vor allem dort ergeben, wo wir nach der handlungsleitenden Rolle beider Begriffe in der Interaktion mit der "realen Welt" nachdachten. Wissen und ein damit verbundener fragiler Rationalitätsbegriff sind in diesem Wechselverhältnis mit der "realen Welt" vielfach zu problematisieren, da die Verbindung zur "realen Welt" ja primär affektiv und über unsere Sinne erfolgt. Spannend hier die Parallelen zu Helmut Seidels Ansätzen einer "Philosophie vernünftiger Lebenspraxis" aus den 1960er Jahren, in der die Tätigkeitsperspektive als anthropologische Dimension eines Arbeitsbegriffs in der Tradition des jungen Marx bis hin zu einer "Anthropologie in praktischer Absicht" (V. Caysa über Seidel) entwickelt wird. In einer solchen Perspektive haben wir allenfalls graduelle Unterschiede der Rolle von Glauben und Wissen ausmachen können.

Allerdings, und dies sei hier expressis verbis vermerkt, enthielt unsere Argumentation auch einen gehörigen Kurzschluss - reden über die "reale Welt" bedeutet ja, nicht über die "reale Welt" zu reden, sondern über ein Bild von jener Welt. Als Basis unserer Rede war also genau dasjenige gesetzt, dem wir uns eigentlich erst nähern wollten.

Literatur:

  • Helmut Seidel: Philosophie und Wirklichkeit. Habilschrift, Leipzig 1966. Neuauflage Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen 2011.
  • Helmut Seidel: Philosophie vernünftiger Lebenspraxis. Hrsg. V. Caysa. Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen 2009.
Hans-Gert Gräbe, 1.12.2011


OrdnerVeranstaltungen