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Hans Gert Graebe / Leipziger Gespraeche /
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12. Interdisziplinäres Gespräch "Nachhaltigkeit und technische Ökosysteme"

Das

12. Interdisziplinäre Gespräch: Nachhaltigkeit und technische Ökosysteme

bildet den Höhepunkt und Semesterabschluss des Moduls "Interdisziplinäre Aspekte des digitalen Wandels".

Termin: 2. Februar 2018, 10–16 Uhr
Ort: Research Academy Leipzig, Wächterstraße 30, 04107 Leipzig

Mit diesem interdisziplinären akademischen Gespräch wird die im Herbst 2011 begonnene Reihe akademischer Reflexionen über die Umbrüche unserer Zeit fortgeführt.

Die Reihe der Interdisziplinären Gespräche am Institut für Informatik wird unterstützt vom Institut für angewandte Informatik (InfAI), von LIFIS - Leibniz-Institut für Interdisziplinäre Studien, dem MINT-Netzwerk Leipzig sowie der Research Academy Leipzig.

Links:

Anliegen

Mit dem digitalen Wandel sind wir Zeuge einer zweiten rechen-technischen Revolution – nach der Erfindung und technischen Realisierung des Computers als zentraler Recheneinheit, Turingmaschine und von-Neumann-Architektur steht nun der Auf- und Ausbau einer dezentralen vernetzten Infrastruktur aus "autonomen Agenten" mit lokalem "Gedächtnis" und Compute-Power auf der Tagesordnung. Eine solche dezentrale Struktur, die alle unsere Lebensbereiche durchdringt, ändert auch unsere Sichtweise der Welt und damit unsere Praxen – von einer stärker statisch geprägten Sicht auf Produkte und Artefakte hin zu einer stärker dynamisch geprägten Sicht auf Prozesse und Entwicklung.

Im Softwarebereich sind diese Tendenzen gut zu beobachten – Abkehr von statischen Entwicklungsmodellen wie dem Wasserfallmodell und seinen verschiedenen Spielarten hin zu evolutionären und nun auch agilen Modellansätzen ( Scrum), Software als Prozess statt Produkt, Komponentenansätze, Produktlinienansätze usw.

Die nachhaltige Etablierung entsprechender dezentraler Produktionsmodelle wirft vor allem die Frage nach Beschreibungsformen und damit der Entwicklung von Begriffswelten auf, mit denen und in denen die synergetischen, aber auch widerstreitenden Potenziale der Herstellung und Reproduktion entsprechender Infrastrukturen und kooperativen Handlungsformen erfasst werden können. Dabei stehen sich traditionell zwei Reflexionswelten gegenüber – die Welt der ihr eigenes Tun reflektierenden "Macher" und die komplex-kulturell konnotierte Welt der "Denker". Die Vorbehalte gegenüber der je anderen Seite sind groß. Ob denn ihre Vorstellungen nicht deutlich unterkomplex seien, fragen die "Denker" die "Macher". Diese fragen zurück, ob die Weisheiten der "Denker" nicht einer längst vergangenen Zeit entsprüngen und die neuen Praxen mangels eigener Erfahrungen mit ihnen nur unzureichend berücksichtigten. Siehe dazu exemplarisch (Gräbe 2012).

Nach einer Diskussion um "das schwierige dialektische Verhältnis zwischen Kooperation und Konkurrenz" um 2005 herum spielt in jüngster Zeit der Begriff technisches Ökosystem eine zunehmend wichtige Rolle. Diese Diskussionen wollen wir mit unserem Interdisziplinären Gespräch aufgreifen. In ihnen hat der Begriff des Ökosystems eine überraschende inhaltliche Erweiterung erfahren – man spricht heute nicht mehr nur von biologischen Ökosystemen, sondern auch von technischen Ökosystemen verschiedener Provenienz: Software-Ökosysteme, digitalen Ökosystemen, Wissens-Ökosystemen, Energie-Ökosysteme sowie regionale Stoff- und Energiekreisläufe, welche die Reproduktion technischer Infrastrukturen in verschiedenen Modellregionen begleiten. Viktor W. Hwang fragt bereits im April 2014 im Forbes-Magazin, ob wir es mit dem "Next Big Business Buzzword: Ecosystem" zu tun haben.

Der älteste Ansatz in dieser Richtung und konzeptionelle Prototyp sind wahrscheinlich die Software-Ökosysteme, über die Wikipedia folgendes schreibt:

Schon seit den frühen 1990er Jahren wurden Strategien und Konzepte der Abhängigkeiten zwischen Unternehmen unter dem Begriff business ecosystems diskutiert. Im Jahr 2003 veröffentlichten dann Messerschmitt und Szyperski ein Buch unter dem Titel "Software Ecosystem" und legten damit den Grundstein für die spezielle Verwendung im Umfeld der Softwareproduktion. Aus industrieller Sicht beschreibt ein Software-Ökosystem die Produktwelt eines führenden Technologieanbieters und aller in diesem Umfeld aktiven Zulieferer und Produzenten, die auf Produkten und Diensten dieses Schlüsselspielers aufbauen.

Allerdings ist dies nur die Hälfte der Geschichte, denn stark geprägt wurde der Begriff vor allen aus den Erfahrungen der Entwicklung von Open Source Software. Seit wenigstens 2013 wird versucht, diesen Ansatz auf andere technische Systeme zu übertragen, wobei auch hier die Leipziger Universität eine wichtige Rolle spielte.

Im Vorwort der Proceedings der EEC 2013 in Leipzig

Das Konzept „Ecosystems“ eröffnet innovative Perspektiven auf die zu erwartenden energie-wirtschaftlichen Entwicklungen. Es strukturiert das komplexe Zusammenspiel der einzelnen Akteure und Teilsysteme mit der Zielsetzung, das Gesamtsystem sicherer, effizienter und umweltverträglicher zu gestalten. Im Fokus der Energy EcoSystems Conference 2013 stehen hierbei vier Betrachtungsebenen – die physikalische Ebene, die IKT-Ebene, die ökonomische Ebene und die soziokulturelle Ebene – sowie deren ebenenübergreifenden Wechselwirkungen.

Der Ansatz der Ökosysteme ist stark mit systemtheoretischem Denken verzahnt, das auf zwei Wegen Eingang in die aktuellen Debatten findet. Einmal sind dies ingenieurtechnische Konvergenzprozesse zwischen Software Engineering und System Engineering und zum anderen Verbindungen zur Theorie dynamischer Systeme und Beschreibungen von Selbstorganisationsprozessen in verschiedensten Bereichen von Wissenschaft und Gesellschaft, die bis in die 1960er Jahre zurückreichen und mit bekannten Namen wie Bertalanffy und Prigogine verbunden sind, siehe dazu etwa (Jantsch 1992).

Mit unserem Interdisziplinären Gespräch wollen wir diesen Entwicklungen nachspüren. Wir haben dazu einige Impulsbeiträge vorbereitet, um der Diskussion einen Rahmen zu geben. Der Schwerpunkt liegt aber wie immer auf dem interdisziplinären akademischen Gespräch und Austausch, für das genügend Raum vorhanden sein wird.

Weitere Links:

Impulsreferate:
  • Tobias Zschietzschmann, Informatik, Uni Leipzig: Software-Ökosysteme. Folien
  • Dr. Sabine Lautenschläger, IIRM, Uni Leipzig: Selbstorganisation in biologischen und technischen Ökosystemen aus systemtheoretischer Perspektive. Folien
  • Dr. Stefan Kühne, URZ, Uni Leipzig: Energie-Ökosysteme im Bereich der Erneuerbaren Energien
  • Justus Schollmeyer: Philosophische Implikationen der Debatte um technische Ökosysteme. Folien
Anmerkungen

Größere Diskussionen gab es vor allem um die Verwendung der Begriffe Nachhaltigkeit und Ökosystem im technischen Kontext. Klassische Definitionen beider Begriffe gehen – auf verschiedenen Abstraktionsebenen – von einem "Naturzustand" als Etalon aus, an dem sich menschliches Handeln orientieren müsse, das in Natur eingreifend agiert. Ein solcher begrifflicher Bezug ist allerdings selbst im klassischen Kontext unter zwei Aspekten problematisch:

  1. Die heute anzutreffende "Natur" ist selbst über mehrere Jahrtausende durch menschliche Tätigkeit überformt.
  2. Beide Begriffe nehmen eine beschreibende Perspektive auf "natürliche" Prozesse ein und sind damit als Teil eines (positivistischen) Wissenschaftssystems, das uns erst dorthin gebracht hat, wo wir heute stehen, selbst kritisch zu hinterfragen. Insbesondere wird in vielen Debatten die Differenz zwischen den Prozessen selbst und den Beschreibungen dieser Prozesse nicht hinreichend deutlich.
Eine gewisse Berechtigung wurde dem Begriff "technisches Ökosystem" als Analogiebetrachtung zugebilligt: Ein phänomenologisch ähnlich strukturierter Komplex scheinbar chaotisch interagierender Akteure, in deren positiv und negativ aufeinander rückgekoppelten Interaktionen emergente Phänomene und Muster zu beobachten sind, lassen sich vielleicht auch mit ähnlichen Beschreibungsformen erfassen.

Dabei ist allerdings eine Differenz in den Diskursen zu beachten: Während die Debatte um "technische Ökosysteme" vor allem von den Praktikern selbst geführt wird und damit die Innenperspektive der Reflexion eigenen praktischen Tuns einnimmt, steht in der "Ökodebatte" mehr die Außenperspektive, der Blick auf sich verändernde "natürliche" Verhältnisse, im Vordergrund.

In einem systemtheoretischen Ansatz – als Ansatz dynamischer Systeme mit Mikro- und Makroevolution – ist ein gutes Verständnis der Interaktion von Mikro- und Makroperspektive erforderlich, um komplexe Dynamiken besser zu verstehen. "Technische Ökosysteme" lassen sich aus einer solchen interaktiven Perspektive nicht auf technische Systeme reduzieren, sondern müssen als techno-soziale Systeme betrachtet werden, wie dies von jedem einigermaßen tragfähigen Technikbegriff zu fordern ist. Es genügt auch nicht, derartige techno-soziale Systeme allein aus der Innenperspektive sich in marktwirtschaftlichen Kontexten bewährter Praxen zu betrachten, um die Konsequenzen der tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandlungsprozesse zu erfassen, die als "digitaler Wandel" heute vor sich gehen.

Insbesondere werden Ansätze, die technische Ökosysteme allein als "Multiagentensysteme" betrachten, einer solchen Komplexität nicht gerecht und wiederholen Fehler der Debatte um "künstliche Intelligenz" – die konzeptionelle Verdrängung des Menschen aus den technischen Systeme, die eigentlich die eigenen körperlichen Fähigkeiten verlängern sollen. Allerdings geht es dabei schon lange nicht mehr (nur) um die körperlichen Fähigkeiten vereinzelter Individuen, sondern um emergente Fähigkeiten kooperativ vielfältig vernetzter anthropozentrischer Strukturen. Klaus Fuchs-Kittowskis bereits vor fünfzig Jahren ausgesprochene Warnung "Wider die Doktrin der Identifizierung von Automat und Mensch"

Der Mensch ist die einzig kreative Produktivkraft, er muss Subjekt der Entwicklung sein und bleiben. Daher ist das Konzept der Vollautomatisierung, nach dem der Mensch schrittweise aus dem Prozess eliminiert werden soll, verfehlt! ( Quelle)

hat auch in heutigen Debatten nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.

Hans-Gert Gräbe, 20.02.2018

Teilnehmer

  • Ulrike Bernard, Kulturschaffende, Leipzig
  • Wolfram Fischer, Ingenieur, Chemnitz
  • Prof. Hans-Gert Gräbe, Informatiker, Uni Leipzig
  • Madlen Hunger, Projektentwicklerin, Leipzig
  • Simon Johanning, Informatiker, Uni Leipzig
  • Dr. Jürgen Kaiser, Mathematiker, ASG Leipzig
  • Ken Pierre Kleemann, Philosoph, Uni Leipzig
  • André Kleinschmidt, Informatiker, HHL und GI Regionalgruppe Leipzig
  • Dr. Stefan Kühne, Informatiker, Uni Leipzig
  • Dr. Sabine Lautenschläger, Ingenieurin für Umwelttechnik, Uni Leipzig
  • Gaston Lubetzky, Jurist, Leipzig
  • Dr. Michael Meiß, Umweltwissenschaftler, Steinbeiß-TIB und ASG Leipzig
  • Justus Schollmeyer, Philosoph, LIFIS Berlin
  • Britta Schrader, Studentin, Uni Leipzig
  • Georg von Nessler, Kulturhistoriker und Unternehmer, ip-sharemedia.de Leipzig
  • Jörg F. Wittenberger, Informatiker, askemos.org Dresden
  • Manfred Wolff, Mathematiker, ASG Leipzig
  • Tobias Zschietzschmann, Student, Uni Leipzig
Interessiert, aber diesmal verhindert

  • Dr. Jürgen Leibiger, VWL, Radebeul
  • Prof. Georg Müller-Christ, BWL, Uni Bremen
  • Dr. Rainer Thiel, Philosoph, Storkow
Unterstützer der Veranstaltung


Institut für Informatik


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