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Hans Gert Graebe / Leipziger Gespraeche /
2011-02-10


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Partizipation, Wahrheit und Wahn - der mündige Bürger und das Internet

Termin: Donnerstag, 10.02.2011, 18.00 Uhr

Ort: Café des Hauses der Demokratie, Bernhard-Göring-Straße 152, 04277 Leipzig.

Mit Prof. Hans-Gert Gräbe, Leipzig

Moderation: Ingo Groepler-Roeser, Vorstand der GdMKK

Ankündigung

Das "Polittheater" ist in der Krise. Der "mündige Bürger" - wer oder was das auch ist - im Zuschauerraum pfeift und johlt und möchte ein anderes Stück gespielt haben (Stuttgart 21). Einige sind schon auf die Bühne geklettert und wollen mitspielen, natürlich auch ein anderes Stück (Piraten). Und staunen über die vielen Requisiten und Illusionsmaschinen, die dort auf der Bühne und hinter den Kulissen herumstehen, und wieviel weiterer "Staff" diese bedient, damit im Zuschauerraum auch garantiert die richtigen Illusionen ankommen. So eine kurze Ist-Analyse.

Das digitale Zeitalter bietet vollkommen neue Möglichkeiten der direkten Bürgerbeteiligung an Diskussionen, Meinungsbildungsprozessen und Entscheidungsfindungen. Online-Umfragen, TED-Umfragen, Meinungsforschung, Evaluationen, viele klassische Instrumente der Meinungsforschung haben ihren Weg ins Netz gefunden und werden flächendeckend eingesetzt.

Im letzten Jahr gab es weitere technische Durchbrüche, um Elemente einer direkten Demokratie gegenüber der heute wenigstens in Deutschland sehr etablierten repräsentativen Demokratie wesentlich einfacher und flexibler einsetzen zu können. Mit Adhocracy und Liquid Feedback gibt es inzwischen zwei Softwarelösungen, die für den prototypischen Einsatz in solchen Szenarien bereitstehen.

Gleichwohl treffen diese Instrumente nicht nur auf Befürworter. So hat die Internet-Enquete-Kommission am 30.09.2010 unter großer medialer Beachtung den als "18. Sachverständigen" auf das Schild gehobenen Bürger eingeladen, sich nicht nur über Forum und Blog zu beteiligen, welche für die Kommission eingerichtet wurden, sondern auch über eine vom Bundestag betriebene Adhocracy-Instanz. Nunmehr - ein halbes Jahr später - kommt nach einer längeren Diskussion auch im Blog der Enquete-Kommission das Aus der Pläne, vor allem begründet mit den Gefahren, die Verfälschungen durch nicht zuordenbare Internet-Identitäten mit sich bringen.

Dass solche Manipulationen nicht von der Hand zu weisen sind, macht derzeit ein lokaler Leipziger Skandal um eine vermutlich verfälschte Online-Umfrage deutlich, die medienwirksam am 17.01.2011 von den Verkaufsbefürwortern ins Feld geführt wurde.

Ein sehr komplexes Spannungsfeld, das der "mündige Bürger" erst lernen muss souverän zu nutzen. Über dieses Spannungsfeld soll es an diesem Abend gehen.

Hans-Gert Gräbe, 02.02.2011

Weitere Links:

Berichte

Mit der Auftaktveranstaltung „Partizipation, Wahrheit und Wahn – der mündige Bürger und das Internet“ eröffnete die Gesellschaft für digitale Medien, Kunst und Kultur (GdMKK) am Abend des 10. Februar 2011 im Haus der Demokratie Leipzig die Veranstaltungsreihe „Leipziger Gespräche zur digitalen Gesellschaft – den Wandel gestalten“. Im Gespräch mit der GdMKK: Prof. Hans-Gert Gräbe vom Institut für Informatik an der Uni Leipzig und Mitinitiator der von Februar bis Juni 2011 monatlich stattfindenden Veranstaltungsreihe. Das Gespräch zwischen den rund 20 Gästen und dem Referenten im Café des Leipziger Hauses für Demokratie wurde von Ingo Groepler-Roeser aus dem Vorstand der GdMKK moderiert.

Den Einstieg in das 1. Leipziger Gespräch zum Thema bot Hans-Gert Gräbe mit einem umfassenden Überblick über mögliche Wege in die digitale Gesellschaft nach ihrer – siet den 1990er Jahren doch recht jähen – Entwicklungsgeschichte. Die Optionen im Hinblick auf sowohl die Freiheit des Einzelnen als auch die Auswirkungen auf das gesellschaftliche ‚Ganze´ sind jedoch nach Einschätzung des Experten sowie im Ergebnis des Gesprächs mit weiteren Gästen des Abends schwer absehbar. Als immens wichtig wurden von allen Gesprächsteilnehmern die Mitwirkungsmöglichkeiten auf der einen – allerdings auch das Recht auf Enthaltung zu dieser gesellschaftlichen Wandlung auf der anderen Seite – eingeschätzt.

Gräbe zog im Verlauf seiner Darstellung der tiefgreifenden Veränderungen von Politik und Gesellschaft in den kommenden Jahren den optimistischen Schluss, Partizipation nicht lediglich als formelle Mitwirkung, sondern ebenso als Einbeziehung zu begreifen und den Wandel zu einer solchen digitalen Gesellschaft als Chance zu verstehen. Das „Selber Denken“ steht dabei im Vordergrund seiner ausführlichen Betrachtungen über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft technologisch-moderner Wissenstransfers, um das lebendige Wissen und das tote Wissen als Resultate (digitaler) Wissensproduktion voneinander unterscheiden zu können. Das sei, so Gräbe, für die souveräne Nutzung des digital verfügbaren Wissens unvermeidlich.

Im Verlauf des zweistündigen Gesprächs konnten mit den Interessenten weitere interessante Fragen rund um das Hauptthema angeschnitten werden, so u.a. die Folgen eines auch nur teilweisen Verkaufs der HL komm Leipzig und perdata und die damit verbundenen Spätfolgen für die von der Stadt selbst entworfenen strategischen Entwicklungslinien. Die Gesprächsteilnehmer waren sich darin einig, dass die kurzfristige ‚Lösung‘ auf lange Sicht nicht nur ökonomischen Verlust, sondern auch Verlust an Gestaltungspotenzial nach sich ziehen wird. Dies jedoch wird Thema einer weiteren Veranstaltung am 21. April 2011 sein.

Zur nächsten Veranstaltung im März am 10.3. 2011 werden Gäste von den Lebenstraumgemeinschaft Jahnishausen (b. Riesa) zum "Leipziger Gespräch" erwartet. Im Wesentlichen, so kündigte der Moderator dieses Gesprächs Dirk Glomptner an, werde es darum gehen, über reale und virtuelle Erfahrungen der Gestaltung eigener Lebensbedingungen in kleineren (Jahnishausen) und größeren Gemeinschaften (Leipzig) zu berichten und zu diskutieren.

Die Veranstaltung wird ebenfalls im Café des Hauses der Demokratie Leipzig stattfinden. Wir freuen uns auf eine rege Diskussion und sind auf die Erfahrungen aus Jahnishausen gespannt.

Ingo Groepler-Roeser, 11.2.2011


Im Mittelpunkt des Gesprächs stand die Frage, mit welchen neuen und nicht gar so neuen Phänomenen der "mündige", der sich in seine Angelegenheiten betreffende Vorgänge einmischende Bürger im Internetzeitalter konfrontiert ist. Ausgangspunkt war die Überlegung, dass ein mündiger, sich einmischender Bürger zunächst ein wissender Bürger sein müsse, der über die ihn betreffenden Angelegenheiten wahrheitsgemäß informiert ist und sich informieren kann. Hier ergeben sich mit dem Internet vollkommen neue Formen des direkten Zugangs zu Informationen und Möglichkeiten der Kommunikation "an der Basis".

Was aber nutzen diese Möglichkeiten, wenn sie "die Wahrheit" eher verschleiern als aufzudecken helfen? Wie ist diese "Wahrheit" überhaupt beschaffen? Was vermag Wikipedia wirklich zu leisten? Wie verlässlich sind die dort vorzufindenden Erläuterungen im Vergleich zum "Expertenwissen" einer klassischen Enzyklopädie? Wer bestimmt, was in die Wikipedia aufgenommen wird und was nicht? Entstehen hier nicht neue Macht- und Herrschaftsstrukturen samt neuen und demagogischen Dimensionen?

Fragen über Fragen, mit denen der mündige, zunächst nach Wahrheit suchende Bürger konfrontiert ist. Bezogen auf "die" Wikipedia lässt sich folgendes antworten: Dieselben Fragen stellen sich die Macher seit Anfang an. Nach zehn Jahren Wikipedia lassen sich klare Tendenzen erkennen:

  1. Eine breite Beteiligungsbasis hat entstehende Macht- und Herrschaftsstrukturen bisher "im Zaum gehalten", wie bei anderen Freien Projekten auch.
  2. Es gibt inzwischen viele Wikipedien, die Wissen aus verschiedenen Kulturkreisen auf sehr verschiedenen Ebenen der Generalisierung systematisieren. Die gemeinsame Mediawiki-Software ist eine Basis, auf der über Interwiki-Links Austausch und Vernetzung dieses Wissens möglich ist. An den Formen und Werkzeugen für einen solchen Austausch wird derzeit intensiv gearbeitet.
  3. Basis der Wikipedia ist der NPOV - der neutrale Standpunkt - der Artikel. Damit kann in der Wikipedia nur dasjenige Wissen Einzug halten, welches (im jeweiligen Kulturkreis) in der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend unbestritten ist. Umstrittenes Wissen muss "neutral" dargelegt werden, was es weitgehend unmöglich macht, komplexere Gedankengebäude einer der streitenden Seiten innerhalb der Wikipedia darzustellen.
Die Existenz einer "objektiven Wahrheit" als Grundlage des Handelns mündiger Bürger ist also bereits auf dieser Ebene zu hinterfragen. Ist es nicht vielmehr das Aufeinanderprallen der vielen "subjektiven Wahrheiten", eine eigentümliche Mischung aus "öffentlicher Meinung" - die wissenschaftlichen, technischen, kulturellen Gemein- und Spezialplätze eingeschlossen - und des in eigenen Praxen erworbenen Erfahrungswissens, die den Hintergrund der Handlungsmöglichkeiten des "mündigen Bürgers" bilden?

Dann sind es aber zwei Komponenten, die den mündigen Bürger ausmachen:

  1. Freizügiger Zugang zu den in welcher Form auch immer hinterlassenen Erfahrungen früherer Generationen.
  2. Die Fähigkeit, einen eigenen Zugang zu diesem Erfahrungsschatz zu finden - also selbst zu denken.
Das Internetzeitalter eröffnet für diesen Freizügigen Zugang ganz neue Möglichkeiten.

"Unsere Zeit bietet wie keine andere eine gewaltige Sammlung von Wissen in Textform dar. Die gesamte Geistesgeschichte der Menschheit wird auf CD-Roms, auf Internetseiten, in Antiquariaten und im Buchhandel dargeboten, alles ist gut vernetzt und so leicht zugänglich, daß es eine Schande wäre, dieses Material nicht wach und offenen Sinnes zu gebrauchen." (Matthias Käther, Utopie kreativ 162 (2004), S. 300)

Damit ändert sich aber auch das Selber-Denken, denn die vielen Zugänge zum Erfahrungsschatz der Menschheit müssen auf neue Weise zusammengeführt und gebündelt werden. Die Leipziger Gespräche sind ein Versuch, hierfür einen kleinen Beitrag zu leisten.

Hans-Gert Gräbe, 20.2.2011


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