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geschrieben für das "Symposium Hightech - Lowtech" Weiz, 10 Oktober 2001

Städte planen oder Städte pflanzen?

Auf der Suche nach einem Siedlungsparadigma für die Globalen Dörfer

Aktuelle Vorbemerkung

Nach Jahrzehnten der Agonie und des blinden Selbstlaufes der Marktkräfte ist die Welt nach einem schrecklichen Fanal wieder in die Geschichte eingetreten. Wir sind Zeuge welch ungeheure Anstrengungen mobilisiert werden, um dem eigenen inneren Schrei nach Rache oder der trügerischen Idee gewaltsam erzwungener Sicherheit und eines imperialen Friedens nachzugeben. Milliarden werden aus dem Hut gezaubert um wieder - der amerikanische Präsident hat dieses Wort in den Mund genommen - einen Kreuzzug führen zu können.

Wir haben in Europa die Erfahrung der Kreuzzüge in unserem kollektiven Gedächtnis gespeichert, und sie ist keine gute. Wir finden viele historische Parallelen, die uns belehren, inspirieren und nachdenklich machen können. Nachhaltig verändert haben die Kreuzzüge diese Welt nicht, sie waren ein kollektives Disaster. Nachhaltig verändert wurde diese Welt durch die geistige Mobilisierung, durch die Transformation der zerstörerischen Emotionen in kreative und kultivierende Energie. Es ist in den Klöstern des Mittelalters, es ist in dieser kollektiven Anstrengung der Absorbtion des besten Wissens und der Kultur der Zeit und in der noch gewaltigeren Anstrengung zur Verwandlung dieses Wissens in Kulturlandschaft und Technik, in der das Abendland geboren wurde. Vielleicht brauchen wir heute eine parallele Anstrengung; vielleicht müssen wir das ungeheure Arsenal von Wissensbruchstücken, die uns die Explosion der Globalisierung gebracht hat wie vor dem die Völkerwanderung, neu ordnen und zusammensetzen wie einst die Mönche in den Bibliotheken. Heute stehen uns traumhafte Kommunikationstechnologien zur Verfügung, wir müssen keine Bücher mehr kopieren und sie mit Ochsenkarren mehr transportieren. Aber die Arbeit der Ordnung, der Kondensation, der Vertiefung und der Prüfung des Wissens auf seinen Nutzen, diese Arbeit ist unermeßlich gestiegen.

Wir müssen einen Referenzrahmen und eine Vision finden, um den Stellenwert dieses Wissens und seiner Anwendbarkeit in der Gestaltung unseres Lebensraumes, in Technik und Kulturlandschaft, beurteilen zu können. Wir fühlen, daß der bis vor kurzem noch geltende Referenzrahmen, der in der Revolte und der Isolation der Reichen bestanden hat, nicht mehr gilt. Der neue Referenzrahmen kann nur globale Zusammenarbeit heißen. Diese Zusammenarbeit ist nicht einseitig; wir haben in unserer Kultur ebensoviele Werte verloren, wie wir geschaffen haben. Die Hightech-Euphorie hat uns in die Illusion versetzt, auf die Zusammenarbeit mit der Natur verzichten zu können. Sie hat uns elementarer Lebensquellen beraubt, und einzelne tun heute schon sehr viel, um sich von Weisheitslehrern indigener Kulturen an diese verborgenen Kräfte der Zusammenarbeit erinnern zu lassen. Der Süden hat dem Norden ebensoviel zurückzugeben wie der Norden dem Süden, Hightech kann sich mit Lowtech verbinden. Aber dazu benötigen wir ein neues Paradigma der Zusammenarbeit.

"Globale Dörfer" sind nicht einfach eine architektonische Konsequenz der neuen Informationstechnologien, sie sind ein Resultat der bewußten Entscheidung für eine kooperative Welt, die Menschen Raum für die Entfaltung aller Lebensentwürfe und kulturellen Werte gibt. Solch eine Welt hat Platz für alle, sie respektiert Selbstentfaltung und Autonomie als ihre wesentliche geistige Grundlage. Sie hat kein Zentrum mehr, aber sie hat Mutterstädte. Sie versucht nicht die ohnehin schon platzenden Kanäle der Weltwirtschaft mit weiteren Waren und schon gar nicht mit "Informationswaren" anzufüllen - stattdessen produziert sie in gemeinsamer Arbeit Wissen und Werkzeuge, an jedem Ort dieses einzigartigen und wunderschönen Planeten seinen Reichtum und seine Schönheit zu entfalten. Globale Dörfer funktionieren nach dem Muster freier Software: sie teilen ihr Wissen und sie teilen es mit, weil sie genau dadurch ihre eigene Handlungsmöglichkeit vergrößern. Und weil dem so ist, agieren sie nach dem Prinzip: "Make more and sustainable Global Villages, not war".

Thesen für den Vortrag

1. Technologien entspringen verschiedenen Paradigmen und entsprechen verschiedenen Gesellschaftstypen; doch im Endeffekt hat jede Technologieform ihre relative Berechtigung und kann Teil in einem Kontinuum werden..

Wenn es high tech und low tech gibt, dann gibt es vielleicht auch eine middle tech - und wenn wir über das Gemeinsame und das Trennende von hightech und lowtech reden könnten wir versuchen solch eine Matrix für den momentanen Gebrauch aufzustellen:

xLowtechMiddletechHightech
BeispieleBewässerungssystemWindmühle Dampfmaschine FabrikMobiltelephonie;Computer + Peripherie
Verfügbarkeitlokalzentralubiquitär
Funktioneingebundenautonomvernetzend
SteuerungreaktivEigentaktproaktiv
Lebensformagrarischindustriellspirituell

Im Vortrag wird der Versuch unternommen, eine Synthese der drei Welten zu skizzieren.

2. Die modernen Informationstechnologien schließen einen Kreis; über das Zentrale und das Ubiquitäre führt der Weg zurück zum Lokalen. Vom linearen führt der Weg zum Kreislauf: und wir entdecken daß das Ziel aller guten Technologie punkto Effizienz, Dauerhaftigkeit und optimalem Ressourceneinsatz in der Natur verwirklicht ist.

„Was die Art und Weise betrifft wie die Maschine unsere Beziehungen zueinander und zu uns selbst verändert hatte, war es ziemlich egal ob sie Cornflakes or Cadillacs produzierte. Die Restrukturierung menschlicher Arbeit und Beziehungen war geformt von den Techniken der Fragmentierung - denn diese bildet das Wesen und die Verlaufsform der Maschinentechnologie.

Das Wesen der Automatisierung ist aber genau das Gegenteil. Es ist ganzheitlich, integrierend und dezentarlisierend, während die Maschinenlogik fragmentierend, zentralistisch und oberflächlich in ihrer Prägung des Musters menschlicher Beziehungen war.“

(Marshall McLuhan, Understanding Media – The Extensions of Man)

3. Jede der drei Technikformen ist gleich wissensintensiv. Aber die Wissenstypen und das Erkenntnisinteresse sind völlig verschieden.

"Das Entwickeln regenerativer Systeme für Energie, Wohnraum, Wasser, Nahrungsmittel-produktion und Abfall erfordert eine große Menge an Information über technische und naturwissenschaftlich beschreibbare Prozesse, über Menschen und ihre Gewohnheiten, über vergangene Erfahrungen und Vorhersagen über die Zukunft, und die Charakteristik des physischen Kontexts wie Klima, Boden und Topographie. Im Unterschied zu industriellen Systemen, die Information hauptsächlich in Bezug auf technische Operationen benötigen, und energie- und materialaufwendig sind, sind regenerative Systeme informationshaltiger. Sie zu betreiben, erfordert konstantes Feedback.Während industrielle Systeme einen beständigen Input an Treibstoff benötigen, der zu Zeit in Form fossiler Brennstoffe verfügbar ist, beruhen regenerative Systeme auf Information" (John Lyle, Regenerative Design for Sustainable Development)

"Wenn wir die menschlichen Anstrengungen betrachten, mehr und mehr komplexe mechanische Kreationen hervorzubringen, so sehen wir, daß wir mehr und mehr zur Natur zurückkehren, um uns Anleitungen zu holen. Die Natur ist daher sehr viel mehr als eine reichhaltige GEN - Bank, die unendeckte Heilmittel für künftige Krankheiten enthält - obwohl das auch ganz sicher der Fall ist. Aber die Natur ist auch eine "MEME" - Bank, eine Ideenfabrik. Vitale Postindustrielle Paradigmen verbergen sich in jedem Dschungelameisenhügel. Das milliardenfüßige Wesen aus Käfern undSträuchern und die Kulturen der menschlichen Ureinwohner, die aus diesem Leben Sinn bezogen haben, sind schon deshalb unseres Schutzes Wert, weil sie postmoderne Metaphern enthalten diewir noch nicht enthüllt haben. Wer eine Prairie zerstört, zerstört nicht nur ein Genreservoir, sondern auch einen Reichtum an zukünftigen Metaphern, Einsichten und Modelen für eine neobiologische Zivilisation" (Kevin Kelly, Out of Control)

4.Die Städte des Agrarzeitalters wuchsen am Schnittpunkt der Handelsrouten. Die Städte Industriezeitalters wurden strategisch geplant. Die Städte des Informationszeitalters erwachsen aus der "geistigen DNS" des Zuganges zu Wissen - und wetteifern darin ihren Ort zu spiritualisieren.

"In der Konsequenz heißt das, daß sich Städte auf verschiedenen Wegen entwickeln werden...

  • Globale Städte wie New York und London werden zweifellos versuchen ihre Position als Kommando- und Kontrollzentren zu stärken indem sie in die fortgeschrittenste Telekommunikationsinfrastruktur und in .hochentwickelte und -spezialisierte Arbeitsplätze investieren
  • Attraktive Lebensräume - wie touristische Ziele und Erholungsorte - werden mehr und mehr Telearbeiter anziehen und damit kombinierte Wohn/Arbeitsbereiche errichten.
  • Gemeinden und Regionen die durch geographische und andere Umstände marginalisiert oder verarmt sind, werden versuchen, ihre Lebensbedingungen durch Fernlehre, Telemedizin und andere Formen von elektronisch vermittelten kostengünstigen Diensten zu verbessern.
  • Die fortgeschrittenen Technopolen mit ihren hohen Arbeitskosten wie das Silicon Valley werden eifrige Nachfrager an den elektronisch vermittelten globalen Arbeitsmärkten sein, während Städte mit großen Reserven an billiger aber hochqualifizierter Arbeit - die Dehlis, Bangalores und Kingstons der Welt - die Verkäufer derselben sein werden.
  • Städte an den Schnittpunkten des Verkehrs und der Transportwege, mit Logistikzentren und Hubs werden zu Schlüsselstellen des elektronischen Verkehrs werden.
  • Zentren der Kultur, der Unterhaltung, der Forschung und der Bildung werden sich weiter spezialisieren: Sie werden sich auf das konzentrieren, was sie einzigartig gut können, während sie die anderen intellektuellen Ressourcen die sie brauchen importieren.
  • Alle werden den Vorteil suchen, der in ihrer spezifischen Lokalität den meisten Sinn macht; und es ist ein Fehler hier ein Modell zu übergeneralisieren wie das die futuristischen Gurus nur allzugerne getan haben." ((William J. Mitchell, E-topia)
5. Die Komplexität natürlicher Prozesse übetrifft das heute technologisch machbare noch immer um Zehnerpotenzen, doch jeder Schritt der Weiterentwicklung der Technologie ist ein Schritt der vertieften Erkenntnis der Natur. Wir lernen, indem wir diesem Ziel nachzustreben versuchen und verstehen dabei immer mehr welch lange Strecke der Technikentwicklung noch vor uns liegt - oder auch nicht, wenn wir mit der Natur zu kooperieren lernen.

6. Was wir von der Natur lernen können: Komplexität bedingt Miniaturisierung. Das gilt aber nicht nur für einzelne technologische Artefakte - sondern das gilt für menschliche Siedlungsformen im ganzen. Der ländliche Raum bietet nicht nur ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Siedlungsgröße und der Verfügbarkeit lokale Ressourcen, sondern vor allem eine Balance zwischen künstlich gestalteter und natürlicher Umwelt.

7. Städte tragen in sich einen anderen Aspekt, eine andere Errungenschaft als das Dorf: sie sind arbeitsteilig und durch die gemeinsame Benutzung von Infrastruktur effizienter als ländliche Räume, sie bieten ein dichteres Zusammenleben von unterschiedlichen Menschen mit vielen Talenten und damit das Gefühl von Reichtum. Aber diese städtische Arbeitsteiligkeit der Menschen untereinander und die ländliche Zusammenarbeit zwischen Mensch und Natur lassen sich vereinbaren - gerade im Zeichen der technologischen Evolution..

8. Die modernen Kommunikationstechnologien sind ein Mittel der stofflichen aber auch der sozialen Integration. Die Beispiele sind Legion, z.B. das steirische System der Abfallbewirtschaftung. Sie sind dabei eine Gesellschaft am Leben erhalten, die sonst vielleicht gar nicht mehr funktionieren könnte und fordern gleichzeitig ein Mehr an Kooperation. Sie scheitern, wo sie lediglich sich selbst vermitteln, anstatt das Leben zu unterstützen.

9. Natur ist Evolution, nicht schlichte Ersetzung einer Form durch die andere. Einfach vorhandene Bauformen durch neue zu ersetzen heißt sich nicht damit auseinanderzusetzen welche Funktion diese Bauformen im sozialen und humanökologischen System spielen. Das ist kein Plädoyer für Konservierung, sondern für eines Dialog. Das Alte muß das Neue in sich aufnehmen und umgekehrt - so entstehen wirklich intelligente Lösungen.

10. Die Beziehung zwischen Stadt und Land ist ein Teil dessen, was wir neu zu überdenken haben. Der bisherige Trend der Landflucht auf der einen Seite und die Stadtflucht der Wohlhabenden auf der anderen Seite haben das Gleichgewicht zuungunsten der Lebensfähigkeit der ländlichen Räume verändert. Die neuen Kommunikationstechnologien bieten die Möglichkeit, nicht primär "die Welt", sondern vor allem die städtische Funktion der Begegnung und des arbeitsteiligen Zusammenhaltes ins Dorf zu bringen.

11. Für die Umsetzung der Potentiale neuer Technologien in lebensfähige und nachhaltige Lebensräume brauchen wir: Emotionen, Visionen, Informationen - und Experimente. Die regionale Zukunft hängt mit einer Neuorientierung des Bildungssystems zusammen, die alle diese Elemente enthält und wieder lernt, in den Zeiträumen von zukünftigen Generationen zu denken. Das heißt auch, daß die soziale und die kulturelle Dimension gleichberechtigte Indikatoren des Wohlfühlens neben den rein wirtschaftlichen Kennziffern werden.

12. Die Lebenswelten von morgen werden durch die kulturellen Initiativen von heute gepflanzt, sie entwickeln sich organisch aus der DNS der verfügbaren Information. Die Städte, die wir heute pflanzen, sind eigentlich keine Städte im herkömmlichen Sinn; sie sind Teile eines größeren Netzwerkes von miteinander verbundenen Lebensräumen.

Unreine Gedanken für den Speech

1.

Stadt entspricht Industrie, Land agrarische-handwerkliche Low Tech; die High Tech wurde so dargestellt als ob ihr das techno-nomadische Leben entsprechen würde (Lone Eagle Phantasien)(Esfandiary-temporäre Städte) (Cocooning). Aber die Gesellschaftstypen ersetzen einander nicht, sie überlagern einander und bilden ein Beziehungsgefüge. Der Irrtum der Moderne war es zu glauben, daß eine „Erweiterung des Menschen“ eine andere aufheben könne. (Mc Luhan Zitat)

So wie der ursprüngliche Nomade durch die agrarische Gesellschaft hindurch lebendig blieb, so wie die agrarische Gesellschaft nicht restlos in der industriellen Gesellschaft aufging, so sehr wird auch die industrielle Gesellschaft weiterleben, als Rückgrat und produzierender Organismus auch einer Informationsgesellschaft. „Globale Dörfer“ sind eine Konzeption einer Siedlungs- und Lebensweise die aus einer Synthese aller vorhin benannten „Erweiterungen des Menschen“ entstehen kann und vermutlich auch entstehen wird. Die Hypothese über die künftige Entwicklung von Städten und ländlichen Räumen ist, daß sich die klare Unterscheidung dieser beiden Lebensbereiche auflösen wird. Die Stadt wird von einem räumlich abgegrenzten Gebiet zu einem Geflecht miteinander intensiv kommunizierender Knotenpunkte.

Urbanität bedeutet die Teilhabe an dichten Kommunikationsvorgängen, die über diese Knotenpunkte vermittelt sind. Diese Knotenpunkte werden auch dort entstehen und eine Funktion bekommen, wo keine Stadt im traditionellen Sinn war. „Globale Dörfer“ im engeren Sinne sind jene Siedlungsformen, an denen die Knotenpunkte der unendlichen Stadt mit den Lebensmöglichkeiten der ländlichen Räume eine nachhaltige Symbiose eingehen. Es gibt viele auslösenden Momente für eine solche Entwicklung und wir werden einige davon berühren. Aber ihnen allen wird gemeinsam sein, daß wir gerade aufgrund unserer fortgeschrittenen technischen Entwicklung das gesamte Spektrum unserer Beziehung zur Natur wieder in unseren Alltag integrieren werden. Hightech re-aktualisiert Lowtech.

Lowtech aktualisiert Hightech: Möglichkeit, daß die Bauern „Städte pflanzen“. Geschichte von einem fiktiven „Globalen Dorf“... Bauern tun sich zusammen...mit der Mutterstadt...Sie holen sich die Städter aufs Land wie weiland die Touristen, legen die Grundlage für einen Lebensraum....Energiebauer, Wellnessbauern,....

2.

Der wesentliche Grund für diese „Wiederannäherung“ liegt in den grundlegenden Neuerungen, die Automatisierung im gesellschaftlichen Produktionsprozeß bewirkt. Unter Automatisierung stellen wir uns gemeinhin eine von Roboterhänden gesteuerte Fabrik vor, menschenleere Produktionsstraßen mit gewaltigem stofflichem Input an Ressourcen und Energien und Output an Produkten und Abfall. Doch Automatisierung bedeutet im Kern die räumliche und zeitliche Dissoziation von Prozeß und der Kontrolle darüber; das Medium der Elektrizität vermittelt nicht nur den mechanischen Antrieb, sondern ist auch Träger der Steuerinformation. Fabriken in Amerika werden über gewaltige räumliche Distanzen von Telearbeitern in Japan gesteuert, weil dort gerade Tag ist; Computerprogramme laufen selbständig ab und warten sich selbst; dadurch ist auch die „globale Gesamtfabrik“ entstanden, in der Teile des Endproduktes an ganz verschiedenen Orten gefertigt und zusammengesetzt werden. Die eigentliche Fabrik ist das Netzwerk selbst.

Darin liegen zwei Tendenzen, die jede auf ihre Weise zur Dezentralisierung beitragen:

Zum ersten ist der geistige Prozeß der Kontrolle, des Designs, der Programmierung nicht mehr auf die physische Nähe zur Produktion angewiesen. Entwicklung von Produkten erfolgt heutzutage in ganz anderen Ländern als deren Produktion oder einfach in eigenen Entwicklungszentren. Diese räumliche Dissoziation von der Produktion enthält der Möglichkeit nach auch die Dissoziation der Kontrolleure, Designer, Programmierer von der Stadt.

Die zweite Tendenz betrifft die Produktion selbst, die nach Belieben auseinandergenommen und zusammengesetzt werden kann. Die Produktionsmaschinen und Produktionsmittel werden immer kleiner und vielseitiger, billiger und ökonomischer anwendbar. Damit trägt die Automatisierung die Möglichkeit in sich, daß Produktion immer mehr dorthin verlagert wird, wo sie mit Konsumtion und anderen Produktionsvorgängen in einer engen Wechselbeziehung steht. Bis jetzt hat dieser Prozeß das absurde Wachstum der Städte gestärkt, denn zunächst hieß das, „just in time“ am Marktplatz zu sein, nach dem Motto „sell one make one“ und „speed to market is everything.“ Doch der Möglichkeit nach enthält dieser Prozeß das genaue Gegenteil: Produktion kann direkt dem Bedürfnis des Kunden angepasst werden. Sie kann genau dort stattfinden, wo sie ihr Rohmaterial vorfindet, ihr Produzent zu Hause ist und im günstigen Falle auch ihr Abnehmer, der Kunde, auf dessen Bedürfnis sie „maßgeschneidert“ angepaßt werden kann. Aber in jedem Falle kann der Absatz über virtuelle Märkte organisiert werden.

Schauen wir uns beispielhaft die „Entwicklungsgeschichte“ des Schusterhandwerks vom Mittelalter bis zu unsere Zeit an und werfen wir einen neugierigen Blick in die Zukunft !

Im Mittelalter war der Produzent, z.B. der Schuster mit seinem Produktionsprozess und seinem Abnehmer auf engem Raum, im Dorf oder in der mittelalterlichen Stadt eng verbunden. Das Rohmaterial, das Leder wuchs praktisch vor der Haustür immer wieder nach, die Transportwege waren kurz und die Transportmittel (Ochsenkarren, Pferdefuhrwerke etc.) einfach und sowohl ökologisch als auch energetisch ohne „Nebenwirkungen“. Produziert wurde mit Low tech, optimal bedarfsorientiert und „maßgeschneidert“. Produktwerbung war unnötig. Es wurde ja nicht gewinnorientiert sondern bedarfsorientiert produziert und die Qualität durch die unmittelbare Interaktion zwischen Kunde und Schuster dialoghaft gesichert und fast „zwangsläufig“ verbessert. Ein scheinbar paradiesischer Zustand, der sich im Zeitalter der Middle Tech, dem Zeitalter der Industriegesellschaft änderte und erst gegen Ende des 20.Jahrhundert ganz verschwand. Was hat unseren Schuster bewogen, von seinem Leisten zu lassen und als Fabrikarbeiter in die Lohnarbeit zu gehen?

Schauen wir uns einige Gründe näher an: ( Christa Müller)

Die Massenproduktion von Schuhen in Manufakturen und Fabriken führte zu einer Monopolisierung mit der ein harter Konkurrenzkampf einhergehen mußte. Rohmaterial und Produktionsmittel hatten sich geändert.

Für unseren Schuster hieß das: so billig kann ich meine Schuhe nicht verkaufen! Theoretisch gab es einen Ausweg. Er musste nur die Qualität des Materials, das Design und die individuellen Wünsche des Käufers immer optimaler ins Spiel bringen, d.h. er würde damit zum Kunsthandwerker werden.

Aber das konnte, auch schon wegen des begrenzten Käuferpotentials, nur eine Minderheit und zwar erst viel später in den Städten verwirklichen.

Unser Schuster konnte und wollte das nicht. Er hatte nämlich den Traum von einem leichteren Leben geträumt. Auch er wollte zum „fortschrittlichen“ Teil der Menschheit gehören und nicht zur gering geschätzten Landbevölkerung. Er wollte eine klare Trennung seiner Arbeitszeit und Freizeit. Er wollte frei sein von den Launen der Kunden und dem Auftragsrisiko, trug nicht mehr die Verantwortung und das Risiko des freien Unternehmers. Er wußte am Anfang des Monates schon was er am Ende des Monates in seiner Lohntüte nach Hause trug. Konnte sogar Schulden mit gutem Gewissen machen, konnte sich Dinge (Reisen, Genussmittel, Kleidung, Unterhaltung...) leisten, die ihm Selbstbewußtsein gaben, die ihn aus der Masse heraushoben. Er wollte sich auch nicht länger mehr der sozialen Kontrolle seines Dorfes unterwerfen. Er wollte ohne soziale Verpflichtungen gleichsam anonym konsumieren.

War unser Schuster nun ein glücklicherer Schuster geworden?

Wohl kaum, auch diese Medaille hat eine Kehrseite, die wir alle täglich in ihren Auswirkungen erfahren und das ist sicher nicht das Paradies.

Wohin muß unser Schuster gehen, um endlich sein Glück zu machen? Nun er muß zuerst verstehen, dass er sich seine Vergangenheit ohne Verachtung anschauen darf und soll. Er muß dann erkennen, dass er das Wissen aus seiner Low Tech und Middle Tech Zeit dringend braucht, um zusammen mit dem Wissen des High Tech Zeitalters ein Paar neue Schuhe zu machen.

Deshalb wird er sich in das Netz des globalen Dorfes „einweben“ und dort seinen Arbeitsplatz, der zugleich sein Heimatplatz ist suchen. Begleiten wir ihn ein Stück des Weges in seinem globalen Dorf. Er ist am Morgen, ausgeruht nach einer ruhigen Nacht, aufgewacht, weil er ausgeschlafen hatte. Kein Wecker hatte ihn schrill aus seinen Träumen gerissen! Nach einem ausgiebigen Frühstück mit Freunden aktiviert er das elektronische Kommunikationssystem in seinem Wohnarbeitszimmer. An die 15 elektronischen Mitteilungen verschiedener Menschen aus der Nachbarschaft haben sich angesammelt. Darunter die Eltern eines behinderten Jungen, die ein orthopädisches Problem aufwerfen. Ein junges Mädchen aus der Nachbarschaft möchte für eine Party eine neue Oberfläche für ihre Schuhe – diesmal soll sie glitzernd sein. Kein Problem für meinen Oberflächenapplikator, denkt er sich, aber bezüglich des orthopädischen Falles muß er sich noch einmal in das Schustergildensystem einwählen um dort automatisierte Auskunft zu holen oder sich per Instantvideokonferenz mit anderen Experten zu beraten. Dann macht er sich daran, ein wenig liegengebliebene Arbeit aufzuarbeiten; er füttert das Fließband der Besohlungsmaschine, stellt den Verbrauch fest und meldet seinen Bedarf für das nächste Monat plus die voraussichtlichen Abfallmengen seiner Produktion an den örtlichen Materialbroker.

(Anmerkung 2007: damals kannten wir Christine Ax noch nicht! Der Schuster war eine Herausforderung die mir Annerose Mühlmann stellte, und ich habe erst jetzt, 2007, den wirklichen Zusammenhang der Arbeiten einigermaßen durchblickt. Sorry für die etwas dilletantische, eben "unreine" Vision! Christine habe ich übrigens 2003 bei den Tagen der Utopie in St. Arbogast kennengelernt, und es war ein lustiges aha-Erlebnis)

3.

Der Materialbroker ist wirklich ein neuer Beruf. Er ist Einkäufer und Abfallverwerter, aber nicht nur für unseren Schuster sondern für viele andere im Dorf, für die Energiebauern, die Erd- und Wasserbauern, die Ausstatter, die Agroförster (paulownia), die landwirtschaftliche Kooperative, Seine Hauptbeschäftigung besteht darin, die Zusammenhänge zwischen den Inputs und Outputs, zwischen den Abfällen und Rohmaterialien zu erkennen und zu steuern. Er sitzt im Informationszentrum, wo die Fäden der Dorfwirtschaft und des Dorflebens zusammenlaufen. Seine Tätigkeit wird als eine höchst verantwortungsvolle und mit langjährigem Studium und Praktika verbundene geschätzt, aber auch er lernt immer wieder dazu. Mit anderen Materialbrokern ist er auf ständiger Suche nach Modellen, wirkliche Kreislaufwirtschaften zustande zu bringen. Diese Stoffstrommodelle sind nach vielfältigen Kriterien geordnet in einem Repository zusammengefaßt, das in Form einer Open Source Bibliothek allen globalen Dörfern zur Verfügung steht. Damit ist sie der Kevin Kellyschen „Ideenbank der Natur“ sehr eng verwandt.

Mit den neuen Modellen der Zusammenarbeit kamen auch neue Berufsbilder. Berufsbilder, die nicht nur die einzelne Funktion in einem arbeitsteiligen Organismus, sondern auch und in immer größerem Maße die Abstimmung, die Koordination zum Inhalt hatten.(Zitat aus Alpen-Gemeinde-Nachhaltigkeit, S.62) Damit bekam die „Arbeit“ eine neue Dimension. Sie war keine Arbeit im Sinne von Geld verdienen müssen. Sie war keine Arbeit, von der man sich in der Freizeit erholen mußte....weil sie freiwillig und aus einem inneren Antrieb geleistet wurde und Raum für Kreativität und Veränderung ließ.

4.

Die Globalen Dörfer sehen sich einer verschärften Konkurrenz der Lebensräume ausgesetzt; sie müssen ihren Bewohnern etwas bieten, um zu überleben. Jeder kann an jedem Ort seine Arbeit mitnehmen, die Telematik hat uns noch nomadischer gemacht. Ganz besonders gilt das für die jungen Mitbürger. Oft genug ist aus der Hoffnung, sie würden aus der Stadt mit ihrem Wissen zurückkommen, nichts geworden. Sie haben gefallen an der bunten Vielfalt des Stadtlebens gefunden, Beziehungen geknüpft, geheiratet, einen Beruf gefunden in dem ihre Qualifikation tatsächlich gefragt war. Dadurch ist eine Kette von negativen Entwicklungen in Gang gekommen: wenn der eine nicht ins Dorf zurückkam, dann wollten es ihm die anderen nachtun. So entstanden immer größere Leerräume im Dorf und seine Attraktivität schwand. Die Bauern, die beschlossen hatten, eine Stadt zu pflanzen, wußten, daß damit nicht nur die warme Heizung, die solide Wohnung, der Garten, der Arbeitsplatz, die frischen Lebensmittel gemeint sein konnten. Damit war auch die freie Stadtluft gemeint, von der die jungen Menschen schwärmten: eine Vielfalt von Möglichkeiten, Kontakten, Erfahrungen, Unterhaltung, aber auch die Chance sich in einem anonymen Umfeld zu bewegen, sich neu zu erfinden, zu beweisen, die eigenen Grenzen auszuloten, ohne einer sozialen und moralischen Kontrolle ausgesetzt zu sein. Das war wohl der schwierigste Lernprozeß überhaupt für sie, denn wie konnten sie es schaffen, den jungen Menschen zugleich Freiheit und eine Aufgabe zu geben, ihre Fehler liebevoll zu korrigieren, das soziale Miteinander nicht zu gefährden?

Gestern abend war es spät geworden. Die Dorfversammlung in der großen Arena im Multi Purpose Space hatte einige Stunden gedauert und war dann in eine kleine improvisierte Fiesta über gegangen. Das zentrale Thema der Versammlung war ein Antrag der Jugendlichen des Globalen Dorfes. Sie wollten nicht nur einen Platzt haben, wo sie sich ungestört treffen können, tanzen, Musik hören, diskutieren, kennen lernen, kochen, malen, Sport und Kunst machen etc. Nein, sie wollen mehr. Sie wollen in Eigenverantwortung und Selbstverwaltung ein eigenes Dorf im Dorf haben. Ein Dorf geprägt von ihrer unbändigen jugendlichen Energie, ihren Wunschvorstellungen von einer anderen Welt. Finden sie hier nicht ihren Lebensraum, so haben sie unmißverständlich kundgetan, werden sie in die nahe Stadt oder in ein anderes globales Dorf „auswandern“.

Angeregt wurden sie durch ihre Recherchen im Internet, wo sie auf die Kinder-und Jugendrepublik von Benposta in den gallizischen Bergen von Nordspanien stießen.

Hier gibt es seit 40 Jahren eine funktionierendes Modell von dem Jugendliche träumen.

Hier findet Lernen und Leben in einer ganzheitlichen Art und Weise statt, die alle Lebensbereiche umfaßt.

Hier können die Kinder und Jugendlichen ihre Schöpferkräfte erproben, hier gibt es kein von außen institutionalisiertes Lernen, hier ist Lernen ernstes Spiel und spielerischer Ernst in der Lebenswirklichkeit ihrer Gemeinschaft. Sie finanzieren sich selber durch ihre Arbeit in den Werkstätten, im eignen professionellen Zirkus und in der Telekommunikation.

Das Globale Dorf wäre die ideale Umgebung für diese Art von Lernen ohne den pädagogischen doppelten Sicherheitsboden und die künstlich erzeugten Lernsituationen im schulisch cleanen Raum. Lehrer sind diejenigen Menschen, die die größte Sachkompetenz in einem Wissensgebiet besitzen, die größte Begeisterung für etwas haben, einfallsreich Informationsquellen freilegen können und die Jugendlichen und Kinder so unterstützen kann, dass diese ihre Forschungsvorhaben und Absichten nachhaltig verfolgen können. Sie brauchen eine hohe Eigen- und Fremdwahrnehmung, eine klare Sprache, Geduld, Humor und Freude am Umgang mit den Jugendlichen und Kindern. Das Globale Dorf beschloß nach einem intensiven Prozeß der Auseinandersetzung mit Erfahrungen in ähnlichen Situationen in anderen Dörfern, das Experiment zu wagen....

Anmerkung Oktober 2008: die Kinderrepublik von Benposta gibt es nicht mehr, aber die Idee lebt fort, zum Beispiel hier oder hier in Lateinamerika

5.

Im globalen Dorf gibt es ein Sprichwort: „wer beginnt alleine und mühsam zu arbeiten sollte vorher mit den Bäumen sprechen. Wer etwas erfinden will, sollte einen Waldspaziergang machen.“ Die Natur ist voller kleiner Helfer und Lehrmeister, die so gut wie jedes technologische Problem gelöst haben. Lange vor dem Menschen hat sie das Fliegen erfunden, das Tauchen, sie versetzt Berge, sie heilt, repariert, stellt wieder her. Sie verfügt über hervorragende Kommunikationssysteme, und über Systeme der Navigation und Orientierung. Aus Sonnenlicht baut sie Materie um und aus. Dabei hat sie die Dauerhaftigkeit von Strukturen über Milliarden von Jahren ebenso gewährleistet wie ständige Innovationen. Ihre Wirkungsgrade sind immens, der Materialverbrauch erstaunlich gering. Eigentlich wird in natürlichen Systemen nichts verbraucht sondern in zyklischen Prozessen oder offenen Kreisläufen umverteilt, umgeschichtet und neu kombiniert.

Der Materialbroker hat ein Meeting einberufen an dem auch unser Schuster teilnimmt. Es geht um das Thema Hanf. Seit einiger Zeit überlegt man im Dorf, die Stelle eines Hanfbauern auszuschreiben. Der Materialbroker hat nun einiges zum Thema Hanfverwertung und Fasergewinnung zusammengetragen. Vor einigen Tagen erfuhr er von einer neuen computergesteuerten Maschine, die verschiedenste Gewebe, Textilien und Fasern aus Hanf herstellen kann. Durch verschiedene Zusätze ist es nun möglich geworden, sogar lederähnliche Materialeigenschaften und Verarbeitungsmöglichkeiten für solche Hanfgewebe zu erzielen. Der Materialbroker hat eine Sendung der Herstellerfirma mit Materialproben erhalten und überreicht sie dem Schuster. Aber auch die Ausstatter erhalten Platten und Stoffrollen mit den neuen Geweben, die sich für Boden- und Wandgestaltung, für Isolierung und Oberflächendesign gleichermaßen zu eignen scheinen. Gemeinsam wird überlegt und kalkuliert, welche Anwendungsmöglichkeiten zuerst getestet werden sollen. Auch die Materialbroker benachbarter globaler Dörfer sind anwesend. Die Region als ganzes weiß genau, daß sie sich keine Fehlinvestitionen leisten kann und will. Deswegen werden die Pläne aufeinander abgestimmt, auch schon in der Experimentierphase.

6.

Als die Bauern davon sprachen, eine Stadt zu pflanzen, wurden sie mit vielen Fragen konfrontiert. „Wollt ihr wirklich, daß man sich bei uns nicht mehr umdrehen kann wie in der Stadt?“ fragten die alten Dorfleute. „Werden wir dann hier auch einen Verkehrsstau haben wie auf der Südosttangente?“ fragten die Pendler, die sich schon früh auf den Weg machten und abends spät heimkehrten. Selbstverständlich nicht sagten die Bauern und ihre Partner aus der Mutterstadt, wir wollen doch ein globales Dorf bleiben und das darf nicht zu groß werden. So wurde der dörfliche Stadtraum genau ausgemessen, hundertzwanzig Meter im Durchmesser. „Was hier hineingeht können wir vertragen, mehr nicht“. Dieser dörfliche Stadtraum wurde sehr dicht, zwei, drei, gar vier Stockwerke hoch wurde gebaut. Es entstand so etwas wie ein Geflecht aus Gebäuden, die miteinander verbunden waren – das Leben spielte sich auf mehreren Ebenen ab, die auch unterschiedliche Funktionen hatten. Die gepflanzte Stadt begann tatsächlich einer Pflanze zu ähneln, aber auch einem Hügel mit verschiedenen Aussichtspunkten. Die Dichte zeigte sehr bald ihre positiven Seiten; pro Einwohner war nur ein Fünftel des Energieeinsatzes nötig, viele Besorgungen konnten bei jedem Wetter zu Fuß erledigt werden, es war immer irgendwo etwas los. Gleich neben den privaten Dachgärten gab es Zwischenräume, Cafés und Promenaden, Pavillons und Plätze, an denen sich die Aussicht genießen ließ.

auszuführen:

Ein Mensch (Städter) bewirbt sich um Ansiedlungs- und Wirkungsraum im Globalen Dorf.

7.

Die Mutterstadt hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Waren vorher die urbanen Konsumenten im Zentrum der Aufmerksamkeit, so ist der Cluster für globale Dörfer zum dominierenden Wirtschaftsfaktor geworden. Die Bevölkerung der Städte hat sich ein wenig reduziert, aber viele Menschen leben noch immer hier. Durch die neue Ausrichtung der Stadt auf die Versorgung eines weit größeren Einzugsgebiets ist die Stadt selbst zum Labor geworden; neue Technologien und Lösungen für die Verbesserung von Lebensräumen werden zuallererst hier ausprobiert, wo Universitäten, Produktionsstätten, Dokumentationszentren und große Vertriebsnetze sich zusammenballen. Cableliner und Solarmobile, ein automatisiertes Transportwesen ohne Stau und Streß, die Entstehung vieler engbenachbarter „urbaner Dörfer“ aus den grauen Häusermeeren, mit wiederhergestellter Nähe von Arbeits- und Wohnort, all dies hat eine neue, dezentrale, fraktale Stadt geschaffen. Es gibt kein Stadtzentrum im alten Sinn mehr, lediglich einen historischen Bezirk für Besucher, es gibt Nachbarschaften und Quartiere mit annähernd gleichen Möglichkeiten. Die Stadt ist in sich selbst ein Netzwerk geworden, zuerst chaotisch, dann bewußt gefördert, indem nach dem Wohnen, der Freizeit, den Arbeitsplätzen auch die Kulturstätten an den Stadtrand gewandert sind. Die Produktionsstätten sind nicht mehr dampfende und lärmende Industrien, denn der Materialeinsatz ist drastisch gesunken. Es werden eher intelligente Werkzeuge als Massenwaren hergestellt. Die Produktion vieler Artikel des täglichen Bedarfs ist in die globalen Dörfer gewandert. Die Stadt aber ist ein Zentrum der intellektuellen Produktion geblieben. Ihre Wissensbasis, ihre Spezialisten und ihre Problemlösungsfähigkeiten sind gefragter denn je. In der Stadt ist nach wie vor das Wissen zu Hause, universeller und umfassender denn je. Die alten Stadtbezirke haben sich Themen gesucht, ein Kulturbezirk lockt mit einem Museumsquartier, ein Wissensbezirk beherbergt einen Universitätscampus mit allen Spezialdisziplinen der Geisteswisssenschaften, ein Messegelände bringt ständig die verschiedensten aktuellen Entwicklungen aus allen Gebieten der gesellschaftlichen Produktion zusammen. Und manche der urbanen Dörfer als Stadtrand haben sich ganz dem Mutterstadtthema verschrieben. So ist zum Beispiel das Gebiet um die veterinärmedizinische Universität zu einem Eldorado der Betriebe geworden, die sich mit Ernährungsfragen beschäftigen; viele Tierärzte haben sich auf neue Berufsfelder verlegt. In der Nähe befinden sich Verkehrsleitzentralen und Logistikzentren, die ganze Regionen mit Ersatzteilen versorgen. Und die Universität für Bodenkultur betreibt ein großes Satellitenlabor, wo sie beständig Informationen über Reifezustand von Feldern, Schädlingsbefall etc. in landwirtschaftlichen Gebieten analysiert und den globalen Dörfern zur Verfügung stellt. Hier wird sogar über große Distanzen der Einsatz von landwirtschaftlichen Maschinen koordiniert.

Das Allgemeine Krankenhaus hingegen hat sich zum Netzwerkknoten für Telemedizin gewandelt. Seine diagnostischen Fähigkeiten waren schon immer mehr gewürdigt worden als die therapeutischen. Wenn im globalen Dorf ein Patient eine kleines Kameradragee zur Beobachtung von Magen und Darm schluckt, dann werden seine Daten im städtischen Diagnosezentrum von Spezialisten analysiert und an das dörfliche Therapienetz von Arzt und Wellnessbauern zurückgeschickt.

Der Schuster ist ganz ungeduldig. Morgen fährt er zum großen Schuhkongreß mit Ausstellung von vielen Produkten rund um die Geh- und Stehberatung in die Mutterstadt und wird sich die neuen Werkzeugmaschinen in Aktion ansehen. Er wird auch die Gelegenheit haben, sich mit weiteren Probemustern der unterschiedlichsten Materialien einzudecken. Besonders intensiv verfolgt er nach Absprache mit dem Materialbroker die Spuren des Hanfs.

8.

Der Beobachter dieses revolutionären Prozesses der Raumentwicklung zwischen Stadt und Land stellt sich besorgt die Frage: Wer wird wen dominieren, die Mutterstadt ihre globalen Dörfer oder umgekehrt? Muß nicht die Mutterstadt mit ihrem immensen Know-How und ihrem High Tech Vorsprung und ihrer demographischen Überlegenheit zwangsläufig die Führung übernehmen? Aber das globale Dorf kann ja einerseits zwischen mehreren Mutterstädten wählen. Außerdem und andererseits ist die Beziehung zwischen dem globalen Dorf und der Mutterstadt keine Einbahnstraße: es findet ein beständiger Austausch von Informationen zwischen Partnern statt, die einander benötigen und im Dialog stehen. Dorf und Stadt haben sich auf den Weg der Suche nach win-win-Situationen begeben. Es gibt in diesem Sinn auch keine „Städter“ und „Dörfler“, Menschen verbringen einen Teil ihres Lebens in der Stadt und einen Teil im Dorf. Sie kennen die Situation der anderen und wissen um deren spezifischen Bedürfnisse und pflegen miteinander soziale Kontakte. Die modernen Kommunikationstechnologien schaffen eine virtuelle Gemeinschaft, in der es keine Regierenden und keine Regierten gibt. Möglich ist nur, was sich im Konsens der Beteiligten durchsetzen läßt.

Die globalen Dörfer sind ein Produkt der Welle, die vorher schon die Blüte der Non Governmental Organisations hervorgebracht hat; oder die freie Software. Kommunikationstechnologien haben nicht nur die Möglichkeiten der Kontrolle vervielfacht, sondern auch die Möglichkeiten der Kooperation; und mit ihrer Entwicklung verschärfte sich der Kampf zwischen den beiden Paradigmen. Große Softwarefirmen wollten die Macht, die ihnen das geistige Eigentum an Wissen und Kultur gab, zur Anhäufung des größten Reichtums- und Kontrollpotentials der Geschichte benutzen. Sie konnten Wahlkämpfe und Politiker und Medien mit ihrem Geld beeinflussen, und dennoch formierte sich eine ebenso kraftvolle Gegenbewegung der freien Kooperation, der es erstmals in der Geschichte nicht mehr um Macht ging. Im Gegensatz zu allen früheren Revolutionären wollten sie keine Kommandohöhen besetzen, sondern forderten die freie Selbstentfaltung aller im Geiste der Kooperation und des Zusammenspiels. Gute Karten für die globalen Dörfer.

Unser Schuster betritt die Messehalle am Rande der Stadt und staunt nicht schlecht: da sind ja wirklich alle da. Mikrohanf, Hanfentis, aber auch Red Hanf und Hanfnux. Die einen mit ihrer hochprofessionellen Lizenzpolitik (Öffnen und Nachbau der Maschine strengstens verboten), die anderen mit ihren freien Bauplänen und der „Politik der lockeren Schraube“. Beide haben die neuen Materialbearbeitungstechnologien offensichtlich im Griff. Sie wetteifern mit ledrigen Hanfprodukten.

(hier bricht das Manuskript ab, die Idee wurde dann 2003 in der "Vision der Globalen Dörfer" wieder aufgenommen)