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Acht Thesen Zur Zukunft Des Ländlichen Raums


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ursprünglich verfaßt 2003 für ein Meeting der iDorf Community. Überarbeitet im Februar 2006 als Hintergrund für den Vortrag in Kirchbach, neue Anmerkungen 2008

Vorbemerkung:

Der ländliche Raum als Siedlungsraum und Lebensraum verschwindet zunehmend aus dem globalen öffentlichen Bewußtsein. Ein Indiz ist daß sich die UN-Konferenz über menschliche Siedlungsräume, die alle 10 Jahre abgehalten wird, fast ausschließlich mit dem Urbanisierungsprozeß beschäftigt und sich "World Urban Forum" nennt. Der "Migrationsdruck der ländlichen Bevölkerung auf die Städte", wor allem in der 3. Welt, wird als eine unabänderliche, schicksalhafte Tatsache betrachtet. Im Jahr 2050 sollen siebeneinhalb Milliarden oder ungefähr 75% der Weltbevölkerung in Städten leben (derzeit 50%) , wobei über 90% dieser Wachstumstendenz aus Entwicklungsländern kommen.

Doch auch in Europa vergrößert sich, wenn auch nicht in diesem dramatischen Ausmaß, das Stadt-Land-Gefälle. Regionen im Einzugsbereich von Grosstädten und Ballungsräumen werden suburbanisiert, während periphere Regionen unter weiterhin progressiver Abwanderung und Strukturverfall zu leiden haben. Die drohende Kürzung und der Abbau der landwirtschaftlichen Ausgleichzahlungen kündigen vermehrte Existenzprobleme an.

Die folgenden Thesen verstehen sich als Prognose und Handlungsanleitung zugleich. Sie machen Tendenzen sichtbar, die aufgegriffen und verstärkt werden können. Sie verstehen sich nicht als Versuch der Detailkorrektur, sondern als Begründung und Bewußtmachung eines globalen Gegentrends zugleich.

Doch ist dieser Trend zugleich eine Aufgabe: Nur wenn ein den Urbanisierungsversprechen ebenbürtiges Bild oder eine Vision des ländlichen Raumes entsteht, die in sich glaubhaft und plausibel eine Antwort auf die gewachsenen menschlichen Lebensbedürfnisse zu geben vermag, können einzelne Projekte wie iDorf Erfolg haben. Das Einzelne kann nur als Teil oder Repräsentant eines Typus, eines Lebensstils, eines allgemeinen Traums wirklich Bestand erlangen. Dieser Traum aber muß aber aus den unaufgelösten Problemen Zeit und aus den historischen Entwicklungsmöglichkeiten resultieren.

1. Der vernachlässigte Raum

Die Entwicklung der menschlichen Siedlungsformen in der Gegenwart ist von einem skandalösen Paradox gekennzeichnet: in einem halben Jahrhundert sollen sich drei Viertel der Menschheit auf weniger als zwei Prozent der Landfläche zusammendrängen, während gleichzeitig Millionen von Quadratkilometern menschlicher Kulturlandschaft, in Jahrhunderten urbar gemacht und gepflegt, der schrittweisen Erosion und Zerstörung anheimfallen und weiterhin anheimfallen sollen.

  • Auch die Industrialisierung der Landwirtschaft in reichen Schwarzerdegebieten, vor allem derzeit im Zuge der biogenen Wende, ist nur eine Ausdrucksform dieser Zerstörung. Sie erzeugt Monokultur, Flächenfraß, Unwirtlichkeit und Abwanderung. (4.11.2008)
Wir gleichen im Übertragenen Sinn den Bewohnern eines reichen Landgutes, die sich um die Inhalte einer kleinen Vorratskammer streiten und das Obst auf den Bäumen verrotten lassen. Wir machen einen äußerst schlechten Gebrauch von den Reichtümern unseres Planeten.

Die städtische Lebens- und Existenzform - so sehr sie rationell zu sein scheint durch gerigen Bodenverbrauch und gemeinsame Nutzung von Einrichtungen - erzwingt umgekehrt eine zunehmende gigantische Verschwendung an Ressourcen. Der Transport von Wasser, Energie und Rohstoffen zu den Orten ihrer Verwertung, der zunehmende Riesenhunger der Metropolen nach ebendiesen und die Unfähigkeit, einen wirklichen regenerativen Stoffkreislauf im urbanen System zu realisieren, lassen den ökologischen Fußabdruck der Städte überproportional anwachsen. Die Grenzkosten städtischen Lebens übersteigen jedes vernünftige Maß. Ein neues Leben im ländlichen Raum ist notwendig, das in jeder Hinsicht rationeller mit den immensen Ressourcen dieses Planeten umgeht, sie pflegt und vermehrt. Dieses Leben ist in sich langristig sinnhafter als das Leben in einer künstlichen urbanen Scheinwelt, das bewußlos seine Grundlagen zerstört.

2. Das Ende des (sub)urbanen Traums

Stadtluft macht frei, hieß es einmal. Doch die Versprechungen urbaner Lebensqualität und Verfeinerung sind in ihr alptraumhaftes Gegenteil umgeschlagen. Städte haben sich zu Häusermeeren ohne Ende gewandelt, sie machen zunehmend Mühe anstatt das Leben zu erleichtern. Ihr schiere Größe ist eine permanente Barriere für das menschliche Leben. Manche Städte gleichen schon feindlichen Umwelten, durch die man möglichst rasch hindurchflieht. Die Städte sind der Feind der Qualität geworden, alle sozialen und professionellen Interaktionen werden zu Dutzendware.

Echte Professionalität, Originelles Denken und Selbstentfaltung gedeihen zunehmend dort, wo es auf den Einzelnen noch irgendwie ankommt: im ländlichen Raum, an der Peripherien. Dort wo der Mensch keine Nummer ist und nicht vielfach austauschbar, dort wird ihm auch Respekt entgegengebracht und dort kann er sich auch besser entfalten.

Er muß aber deswegen nicht auf den Reichtum und die Fülle an Informationen und Erlebnissen, an Perspektiven und Beziehungen verzichten, den die moderne Stadt hervorgebracht hat. Die Telekommunikation hat dieses Dilemma aufgelöst. Wir sind durch sie in der Lage, auf Wissen und Können vieler zurückzugreifen, wenn wir unsere Umwelt und unseren Lebensraum gestalten.

3. Neue Faszination Land

Vielleicht werden wir noch in einem anderen Sinne bald das Wort prägen, daß Landluft frei macht. Durch die kulturellen Begegnungen der Stadt, durch das angewachsene Wissen, durch die Kenntnis der tausenden Möglichkeiten des menschlichen Daseins ist das Bedürfnis nach reicherer Gestaltung und Entfaltung gewachsen. Landleben ist zumindest der Möglichkeit nach keine Plackerei mehr: Automation auf der einen Seite und die Fortschritte unseres Wissens über die Natur auf der anderen Seite haben es möglich gemacht, in einem sehr viel tieferen Ausmaß eine Symbiose mit der Natur einzugehen als dies früher möglich war.

Die Besipiele entstehen laufend vor unseren Augen: Wo früher ganze Wälder abgeholzt werden mußten, um ein wenig Wärme in die Stube zu bringen, da vollbringen moderne Biomassetechnologien wahre Wunder an Effizienz. Wir erkennen den automatischen Reichtum und die Fülle, den das Kreislaufleben der Natur hervorbringt und sind erstmals in der Lage, diesen Vorgang zu gestalten ohne daß unsere Hände permanent mechanisch zupacken müssen.

Stattdessen haben wir Raum, Raum zu bauen und zu gestalten. Dieser Raum kann erfüllt werden mit all dem, was der Geist in den Städten gelernt hat. Er kann und wird genauso komfortabel sein wie die Shopping malls mit ihrem mediterranen Flair. Er wird vielleicht weniger glitzern, dafür umso mehr leuchten. Wir bringen den Luxus zurück nach Hause, und wir finden endlich auch die Muße ihn zu genießen. Nicht wir sind für den Markt da, als Konsumenten und Produzenten, als Sparer und Arbeitslose, sondern der Markt wird wieder für uns da sein, wird der Ort unserer Begegnung.

Und was die "großen" Märkte anbelangt: Intelligente Städte werden sich finden, die auf dieses Bedürfnis dadurch antworten, daß sie das neue Leben im ländlichen Raum, nachhaltig und luxuriös, zum Zentrum ihrer Industrien und Denkfabriken, ihrer Produktivität und Ingenuität machen. Diese Städte werden das 21. Jahrhundert überleben, und vielleicht werden wir sie eines Tages liebevoll "Mutterstädte" nennen, so wie wir heute noch vom "Vaterland" sprechen.

4. Eine neue Evolution des Sozialen

Nicht nur unsere Individualität kommt im ländlichen Raum zu ihrem Recht, sondern wir lernen wieder, diese Individualität in und durch Gemeinschaft zu leben. Hier erst kommt der Megatrend unserer Zeit zur richtigen Entfaltung und das scheinbare Paradox, daß wir nur in Gemeinschaft Individualität leben können, zu seiner Auflösung. Jeder baut die Welt der anderen mit, und indem wir in jedem Menschen eine bestimmte Ausprägung unserer gemeinsamen Kultur, unseres gemeinsamen Wollens entdecke, wird unsere Welt ständig reicher. Individuation wird gemeinschaftsfähig, und wir entdecken endlich daß der Gegensatz von Individuum und Gesellschaft, der unser Denken und Fühlen bestimmt, nur ein mitunter auch alptraumhaftes Durchgangsstadium von 300 Jahren ist, eines vorübergegangenen Moments in der Weltgeschichte, in der sich nichtsdestoweniger der Mensch wie nie zuvor entwickelt hat - intellektuell, technisch und spirituell.

Wir würden im Ernst nicht zurückkehren wollen in die angstvollen Eierschalen unseres Denkens und Tuns, ausgeliefert der Tradition und dem Schicksal, wie sie vor dieser Erschütterung bestanden. Wir können aber auch nicht weiter im monadischen Alptraum der Matrix aus Künstlichkeit und Gleichgültigkeit der uns umgibt. Die bewußt gewählte Gemeinschaftlichkeit ist eine Antwort auf dieses Dilemma.

Gemeinschaften aber wollen Gestalt, Gestalt braucht Raum und Distanz, Das Dorf bietet beides, jedes Dorf hat sein Thema und diese Themen geben jedem Dorf sein eigenes, unverwechselbares Gepräge. Dörfer werden somit Individuen, und auf einer höheren Ebene wiederholen sie das Spiel, daß nur durch die Ausprägung der Individualität wahre Gemeinschaft entstehen kann.

5. Die Informationsrevolution und die positiven Folgen der virtuellen Welt

Die städtischen Industrien der späten Selbstbedienungsgesellschaft haben die Grundlage geschaffen, Teile der Produktion wieder an die Peripherie zu verlagern, indem sie Intelligenz in den Werkzeugen verkörpern. Die in den Produkten unseres Alltags verkörperte und in ihnen eingebaute Intelligenz ist aber eine lebendige Intelligenz: sie ist kollektiver Geist, der sich in Bildern, Begriffen und Modellen äußert, die ständig verbessert, infragegestellt und ausgetauscht werden können und müssen. Das bestimmt nachhaltig die Form unserer Individualität in der neu entstehenden dörflichen Gemeinschaft.

Jeder von uns ist quasi Botschafter einer virtuellen Gemeinschaft, in der er seine Aufgabe, seine Berufung im Leben im ständigen Austausch mit Gleichgesinnten vertieft. Diese wiederum können über den ganzen Globus verteilt sein. Ein Arzt im Dorf, der eine Diagnose stellt, ist nicht durch sein momentanes Wissen beschränkt; er hat Partner, die ihm in jedem Moment helfen, seine Arbeit zu tun. Er greift auf spezialisierte Institutionen in den Städten ebenso zurück wie auf virtuelle Netzwerke seiner Kollegen. Wir repräsentieren als Individuen im dörflichen Leben eine Fülle der Kompetenz.

6. Zugangs und Lernorte

Ein breitbandiger und feinkörniger Zugang zu dieser globalen Sphäre der Arbeit, der Bildung, der Heilung, des Spiels und der Kreation, ein universeller telematischer Zugang mit universellen Realisationsmöglichkeiten ist der Kern eines zukünftigen Dorfes. Man könnte diesen Kern mit einer Bibliothek vergleichen, die auf jede Frage, die im lokalen Lebenskontext auftaucht, eine Antwort zu geben imstande ist.

Dorferneuerung ist auch und primär geistige Dorferneuerung. Sie wird auch die Rolle der Kleinstädte neu definieren.

7. Die Wiederauferstehung des Bauern

Landwirtschaft wird zur Kunst, Menschen eine attraktive Lebensumgebung zu schaffen. Der Landwirt wird Manager eines umfassenden nachhaltigen und überaus effizienten Stoffkreislaufes, er wird Gastgeber und Hausherr, der unaufdringlich und schrittweise andere an der Gestaltung des ganzen Hauses beteiligt. Der aus Gästen Zuzügler macht, aus Zuzüglern Partner, aus Partnern Neu- und Mitbürger.

Die Entwicklung des ländlichen Raumes ist nur möglich durch die Initiative und Beteiligung der lokalen Bevölkerung – dadurch daß sie die Chance erkennt, die dadurch entsteht, daß sie ihren Raum teilt. Es wird die Initiative von Menschen im städtischen und ländlichen Raum gemeinsam sein, die Voraussetzungen für dieses neue Bewußtsein von der Teilbarkeit des ländlichen Raumes zu schaffen. Eine Teilbarkeit, die nicht Zerstückelung bedeutet, sondern zivilisiertes Miteinander, ein intelligentes gemeinsames Nutzen auf vielen Ebenen. Der Dorfdialog wird ständig Verständnis für die verschiedenartigen Bedürfnisse schaffen müssen. Aber er wird auch ständig neue, unvorhersehbare, kreative Lösungen hervorbringen.

8. Die neue Gestalt des Dorfes

Das neue Dorf wird unendlich achtsam mit der Ressource Raum umgehen. Von der Stadt haben wir verdichtete Bauformen gelernt, am Lande werden sie nicht überflüssig. Das neue Dorf wird kompakt sein, fußläufig, es wird vom Raummanagement der Stadt lernen. Nicht Verhüttellung kann die Zukunft des ländlichen Raumes sein, sondern Integration. Einer Integration, die aber auf 2 Füßen steht: einer reichen Welt von Gemeinschaftseinrichtungen im Inneren und einer reichen Welt von Landschaft im Äußeren.

In dieser äußeren Welt erfahren wir uns im Kontakt mit der Natur als die, die wir selbst sind. Wir befreien uns von den Zuschreibungen durch die Gesellschaft und finden zu unserem wahren Ich. Es kann keine geistige Gesundheit, keine Autonomie geben ohne die Möglichkeit des Eintauchens in die erhabene Stille der Natur. Dort schöpfen wir die Kraft und Freude, die wir anderen zukommen lassen.


Anmerkungen, Kommentare: Die Zukunft des ländlichen Raums spielt m.E. eine große Rolle in der weltweiten, ruralen Entwicklung. Die push/pull Faktoren für Stadt u. Land sollten in etwa gleich sein um ein qualitativ,hochwertiges überleben des Ruralen im Einklang mit dem Urbanen zu gewährleisten. Dies spricht die raumplanerischen Fähigkeiten an ein Netz von Innovationspunkten (Bildungseinrichtungen und Informationszugang, wie z.B. Glasfaserkabel für uneingeschränkten Informationsfluß) aufzubauen, die den Bewohnern des ländlichen Raumes nicht mehr das Gefühl der Abgeschiedenheit beschert.