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In Freckenhorst tagt heute, am 9.3.2012 die KLJB-Bundesversammlung (Katholische Landjugendbewegung Deutschlands (KLJB) 70.000 Mitglieder) und mein Referat ist im Rahmen des Studienteils "Land schafft Zukunft". Ich werde um 14h life über Videomeet auftreten, habe aber schon mal einen Backup speech (ja, die Technik ist eben höchstwahrscheinlich immer noch unzuverlässig) in youtube gestellt. Hier gibts übrigens eine /Pressemitteilung dazu

direkt you tube

Guten Tag nach Freckenhorst zur Tagung "Land schafft Zukunft"!

Mein Name ist Franz Nahrada und ich habe die große Ehre bekommen, ein paar einleitende Worte zu ihren Arbeitsgruppen zu sprechen. Der Grund liegt wohl darin, dass ich aus tiefsten Herzen nicht nur an die Zukunft des ländlichen Raumes glaube, sondern eben auch versuche diese Zukunft mit anderen Menschen, Freunden und Forschungspartnern gemeinsam zu erfinden und zu gestalten.

Dazu haben wir einen Rahmen geschaffen, die GIVE Forschungsgesellschaft, der auch nach 20 Jahren eigentlich immer noch eine relativ kleine Gruppe ist, die nach Mitstreitern sucht. Dennoch haben wir schon eine Fülle von Meilensteinen hinter uns und sind zum Mittelpunkt eines globalen Netzwerkes geworden..

GIVE heißt Globale Integrated Village Environment - also zu deutsch Global Integrierte Dorfumgebung. Wir nennen uns auch Labor für Globale Dörfer. Für mich sind daran zwei Botschaften wichtig: erstens, der ländliche Raum der Zukunft ist global integriert. Ländlicher Raum, das ist für mich eben nicht nur das Dorf, sondern ein System aus Kleinstadt und Verkehrsachsen auf der einen Seite, aus Landschaft und ganz verschiedenen ländlichen Siedlungsweisen auf der anderen Seite. Das Dorf ist einfach nur das Kernstück und ein Stellvertreter oder Sinnbild, aber niemals der ganze ländliche Raum. Global integriert heißt, dass das Leben auf dem Land kein Leben zweiter Klasse sein darf. Es heißt aber gerade nicht globalisiert, was wir ruhig mit "ausgequetscht" und "ausgebeutet" übersetzen dürfen. Der Globalisierung wirkt eine intelligente Regionalisierung entgegen, die sich aus globalen Wissensquellen und globaler Wissenszusammenarbeit speist.

Für uns spielen die neuen Medien und das Internet eine ganz zentrale und wichtige Rolle bei der Wiederinwertsetzung des ländlichen Raumes. Natürlich geht es letztlich um eine ganze Reihe von Fragen, und die wichtigsten sind auf ihrer Studientagung präsent. Ich behaupte aber dass keines der Felder, mit denen Sie sich heute beschäftigen, heute mehr ernsthaft diskutiert werden kann, ohne die zukünftige Rolle der Netzwerke und neuen Informationstechnologien mitzubedenken. Das gilt für Bildung auf dem Land ganz besonders, aber auch für die neuen Formen der Arbeit, der Regionalwirtschaft und der Landwirtschaft, und das gilt sogar für die Frage wie Werte und Spiritualität sich in unserem Leben manifestieren. Ich möchte Ihnen daher zu jedem Arbeitsgruppenthema einige Thesen formulieren und hoffe dass sie rege Diskussionen anfachen.

Davor möchte ich aber ein paar grundlegende, allgemeine Thesen formulieren die sich auf alle Bereiche beziehen. Sie haben sicher alle die akademischen Prognosen im Kopf, die auf eine weitere Ausdünnung ländlicher Räume hinweisen. Ich kann diese Prognosen eigentlich nicht mehr hören. Im Grunde hängt die Zukunft ländlicher Räume von mehreren Faktoren ab, die allesamt etwas mit dem Handeln der Menschen zu tun haben. Die Zukunft ist eine sich selbst konstruierende und erfüllende Prophezeiung, und wenn wir sie ändern wollen, dann müssen wir unsere Handlungsmöglichkeiten prüfen.

Meine erste These ist also, dass es einer grundsätzlich anderen Strategie als in Städten bedarf, um ländliche Räume erfolgreich zu machen. Städte haben viele Menschen auf engem Raum, diese sind austauschbarer und unwichtiger. Ländliche Räume sind darauf angewiesen, sehr viel stärker den Einzelnen in seinen vielfältigen Beiträgen zur Sozietät zu beachten und zu stärken. Wenn es gelten soll, dass ein Leben im ländlichen Raum sich dem Leistungsvergleich mit den Städten zu stellen hat, und daran führt wirklich kein Weg vorbei, auch wenn es sicher nicht die Gleichartigkeit, sondern die Gleichwertigkeit ist die wir anstreben, dann müssen eben relativ wenige Menschen relativ viele Aufgaben erledigen, soll das System die Anforderungen an die Komplexität der Lebensbewältigung erfüllen. Dann müssen diese wenigen Menschen eben auch alles tun, um sinnlose Konkurrenz und zerstörerischen Wettbewerb zu vermeiden. Sie müssen sich miteinander gut koordinieren und sie müssen einander gut unterstützen.

Sie werden gleich sehen welche enormen Auswirkungen das auf die Frage der Bildung hat, aber auch auf die Arbeitswelt, die Struktur regionaler Wirtschaftsbeziehungen und auch auf die Frage der Spiritualität.

Lassen Sie mich aber zunächst noch eine zweite These nachschieben: Die Menschen in ländlichen Räumen werden durch einen ungeheuren Dezentralisierungsschub der Technologie unterstützt. Sie können heute nicht nur sehr viel mehr Wissen für ihre Tätigkeiten erhalten, sondern auch sehr viel mehr Werkzeuge. Diese Tendenz ist so stark, dass sie den herkömmlichen Industrien grundsätzliche Entscheidungen abverlangt: will ich weiterhin das Wohnzimmer und den Couch Potato in den Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit stellen, den totalen Konsumenten, der sich Musik, Apps, Filme runterlädt und sich möglichst viele Pakete beim Versandhandel bestellt, oder will ich Menschen unterstützen die mit meinen Produkten selbständiger werden, sehr viel mehr tun können, ihre Gemeinschaften aufbauen können und so weiter. Die Informationstechnologie gibt es uns in die Hand, nicht nur Papier auszudrucken sondern Gegenstände. Sie lässt uns aber auch selbst selbst zu Designern dieser Gegenstände werden. Gerade eben haben sich zwei Netzwerke zusammengeschlossen, von denen eines Autos entwirft und das andere landwirtschaftliche Maschinen, Wikispeed und Open Source Ecology. Werden wir eine Industrie sehen, die diese Netzwerke unterstützt? Werden wir nach der längst nicht mehr funktionierenden Lohnarbeitsgesellschaft ein neues Paradigma haben, in dem selbständige Menschen ihre Versorgung in vielen Aspekten wieder selbst in die Hand nehmen und wieder zu Produzenten werden? Meine These ist, dass diese Alternative hier und heute in jedem Moment existiert, dass aber die Bereitsteller der Technologien sie nur sehr zögerlich unterstützen.

Sie verstehen vielleicht nach diesen 2 grundsätzlichen Thesen, warum es keinen Sinn macht, auf Ausdünnung und Abwanderung zu schauen als wären sie ein Schicksal. Stattdessen können Menschen in ländlichen Räumen die Möglichkeiten ergreifen die sich ihnen heute durch die neuen Technologie bieten und diese Technologien umformen in großen kooperativen Netzwerken, die sich aktiv ihre industriellen Partner suchen.

Nun möchte ich aber kurz eingehen auf Ihre gut gewählten Arbeitskreisthemen und möchte hier sehr viel konkreter werden.

1.

Bildung halte ich für den Dreh- und Angelpunkt der Zukunft des ländlichen Raumes, die Gründe habe ich beschrieben: nur wer über die beschriebenen Möglichkeiten bescheid weiß, der kann sie nutzen. Aber welche Bildungsinstitution ist da, um uns dafür zu qualifizieren? Wir gehen in den Städten immer stärker in Richtung Spezialisierung, während wir im ländlichen Raum eine große Bandbreite von Wissen und Können benötigen, eine viel universellere und breitbandigere Institution. Wie soll sich das aber realisieren lassen angesichts leerer Gemeindekassen? Noch dazu haben wir in ländlichen Gebieten viel weniger Lehrende - wo wir doch mehr benötigen würden.

Meine These zur Bildung und mein Input für Ihren Arbeitskreis ist: das, was wir heute in sehr unvollkommener Form tun, dieses Hereinholen mittels der neuen Kommunikationstechnologien, das könnte der Ausgangspunkt einer kooperativen Vernetzung vieler "Zugangs- und Lernorte" sein, die gemeinsam eine "virtuelle Universität der Dörfer" bilden, egal ob man sich den Content jetzt von städtischen Wissensbasen (wie Universitäten) oder vielleicht auch zunehmend aus der Praxis der sich selbst neu erfindenden Dörfer selbst holt.

Wir brauchen eine generalistische Bildungsinstitution, die in der Lage ist sich den globalen Reichtum an Wissen und Können zu erschließen, um es hauptsächlich im lokalen Lebens- und Wirkungsraum der Menschen und für ihre Lebensqualität zur Entfaltung zu bringen.

Soweit meine These zur Bildung.

2.

Auch zum Thema Arbeit und Arbeitsplätze habe ich eine ähnliche Ansicht, aber wichtig ist schon dass die Arbeit logisch nach der Bildung kommt.

Ich glaube nicht an die sogenannte Telearbeit, also den Umstand dass viele Menschen wie bisher in fixen Arbeitsverhältnissen stehen und diese Arbeit vom Wohnort aus erledigen können. Ich habe mich in den neunziger Jahren sehr intensiv mit Telearbeit beschäftigt und bin zu dem Schluss gelangt, dass Telearbeit zumeist entweder von hochmobilen Managern ausgeübt wird, deren koordinierende Tätigkeit zeitkritisch ist, oder aber die Vorstufe zur Auslagerung und Entlassung aus regulären Arbeitsverhältnissen bildete. Der Traum vom familienfreundlichen Home Office endete nicht selten im Karriereknick, selbst wenn man den Kontakt zu den Kollegen hielt.

Das alles ist freilich gar nichts Schlimmes, wenn man sich vergegenwärtigt, dass ohnehin auch der Sektor der geistigen Arbeit von einem großen Rationalisierungsschub heimgesucht wurde und wird. Der ländliche Raum bietet hier mehrere Ansatzpunkte, darauf intelligent zu reagieren.

Ich bringe hier vielleicht ein praktisches Beispiel. In der Waldviertler Gemeinde St. Martin soll eine Siedlung "auf der Sonnenseite des Wohnens" entstehen, in der sich Menschen aus verschiedenen Einpersonenunternehmen ein gemeinsames Atelier schaffen, das ihnen auch ermöglicht, zum Beispiel im Bereich der Film- und Medienproduktion Produkte aus einer Hand anzubieten. Zugleich soll die Siedlung höchst energieeffizient gestaltet werden und nach den Prinzipien der Permakultur einen hohen Grad an Eigenversorgung und Senkung der Lebenshaltungskosten ermöglichen. So wird auf der einen Seite der Druck, sich unbedingt und zu jedem Preis verkaufen zu müssen, gemildert, während auf der anderen, der Angebotsseite, das "Clustern", das gezielte Vernetzen, eine wesentlich größere und tiefere Produktivität mit sich bringt. Intelligente Gemeinden geben ihren jungen Selbständigen sehr viel Unterstützung, um die gestiegenen Anforderungen auf dem Markt für Produkte und Dienstleistungen zu bewältigen. Neue Dorfzentren schaffen eine lokale und regionale Dichte, durch die auch Wirtschaftsbeziehungen aller Art unterstützt werden. Ich stelle also die These auf, dass gerade im ländlichen Raum das Co-Working, das bewusste Zusammenschließen von kleinen und kleinsten Unternehmen zum besseren Kommunizieren miteinander und mit dem Markt, eine große Zukunft hat.

3.

Zur Regionalversorgung und zu den regionalen Wirtschaftskreisläufen brauche ich da gar nicht mehr viel zu sagen, außer vielleicht dass das was bei der Energie beginnt und mittlerweile als eine Kaskade von Bioenergiedörfern unübersehbar ist, dort noch lange nicht enden muss. Eben erst hat die Ära einer Grünen Chemie begonnen, und ich möchte nur auf Pioniere wie Michael Braungart und Handwerker Mackwitz verweisen, die uns darauf hinweisen, dass Biomasse oft viel zu schade ist zum Verbrennen und Verrotten, dass sie wertvoller Rohstoff für hochwertige Produkte sein kann. Das wichtigste Kennzeichen dieser Grünen Chemie ist es, dass Abfälle überhaupt vermieden werden, dass Produktkaskaden aus nachwachsenden Rohstoffen generiert werden, die ähnlich wie in der Natur immer wieder neuen Prozessen Nahrung geben. Die dabei auftretenden Nutzungsmöglichkeiten von land- und forstwirtschaftlicher Biomasse gehen über Baustoffe und Dämmstoffe weit hinaus. Handwerker Mackwitz hat dies beispielhaft an den Obstkernen gezeigt, die in der Saft- und Marmeladenproduktion als Abfall entstehen. Diese Kernöle sind Ausgangspunkt für Dutzende ganz verschiedene Anwendungen und Weiterverarbeitungen zum Beispiel im Naturkosmetiksektor, als Emulgatoren, Aromen, Poliermittel und so weiter.

Diesen vielen neuen Erkenntnissen gemäß hat eine moderne Regionalwirtschaft durchaus noch nie dagewesene Chancen. Aber auch die Beziehungen zwischen den Sektoren, zum Beispiel zwischen Landwirtschaft, Tourismus und verarbeitendem Gewerbe bergen neue Potentiale. Tourismus etwa wird zunehmend vom Phänomen des "Sinntourismus statt Spaßtourismus" beeinflusst. Menschen sind heute vor allem dann bereit zu reisen, wenn es sie persönlich bereichert und ihnen neue Lebenschancen gibt.

Ich kann hier nur Schlaglichter werfen, doch eines wird klar: eine gute Regionalwirtschaft und eine Regionalversorgung kann nach innen und zunehmend auch nach außen nicht mehr allein vom Kriterium des Wettbewerbes definiert werden. Vielmehr ist die Wahrnehmung von Intelligenten Kooperations- und Verkettungsmöglichkeiten an die erste Stelle zu setzen.

4.

Bleibt uns noch abschließend das Thema "Kirche am Land", und ich habe mir das bewusst für den Schluss aufgehoben. Gerade in einer Zeit der globalen Kommunikation muss sich die Kirche immer mehr mit dem Fakt auseinandersetzen, dass Menschen mit vielerlei Angeboten auch in religiöser Hinsicht konfrontiert sind. Wir leben in einer Welt in der der Einzelne, im Mittelpunkt einer gewaltigen Informationswolke stehend, sich quasi seine eigene Privatreligion zu zimmern ermutigt wird. ich will mich jetzt bewusst nicht parteiisch auf die Seite des christlichen Evangelisierungsauftrages stellen, sondern aus einer ganz anderen Perspektive Chancen für die Kirche am Land herausarbeiten.

Der ländliche Raum bietet nämlich den Städten gegenüber einen heute noch weitgehend unerwähnt gebliebenen Vorteil oder eine Besonderheit, um es neutral zu sagen.

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Der ländliche Raum bietet weit mehr als die Städte die Möglichkeit, einen kohärenten Kulturraum zu erhalten oder gar neu zu schaffen. Dieser Kulturraum steht mehr denn je, wenn man es so formulieren will, im globalen "Leistungsvergleich", er kann sich präsentieren und er kann kritisch von außen betrachtet werden.

Die katholische Kirche trägt zwar im Namen, dass sie für alle ("kath ollous") Verbindliches aussagen will, doch im Endeffekt ist sie doch eine ganz bestimmte, von der Erfahrung einer zweitausendjährigen Geschichte evolutionär geprägte Art des Lebens und Glaubens, die kulturprägend wirkte und sich in einer Mehrzahl von Lebensmodellen manifestierte, die quasi als Muster bereitstehen für Menschen denen es nicht mehr genügt, Glauben als rein innerliches Geschehen zu begreifen.

Die kommende Zeit der neuen, Globalen Dörfer ist paradoxerweise die Zeit solcher manifestierter und remanifestierter Lebensmodelle. Der ländliche Raum ist auch deswegen für uns interessant, weil er uns mehr als die Stadt erlaubt, selbstbestimmt nach Werten zu leben. Darin sehe ich eine große Chance für die Kirche, die hier ihre gestaltende Kraft entfalten kann, auch wenn - und dieses auch ist für mich zunehmend wichtiger - sie akzeptieren muss, dass sie mit anderen Welthaltungen und Lebensmodellen quasi im Wettbewerb steht. Also wird es mehr denn je um die Besonderheit, die geistige Kraft, das Charisma gehen, das sich an besonderen Orten entfaltet und von dort auch ausstrahlt. Gerade hier hat die Kirche eine besondere Rolle und eine besondere Chance, denn wer kümmert sich noch oder schon um die Dörfer heutzutage? Jesus hat in den Dörfern gewirkt und ist in der Stadt zugrundegegangen, er ist an die Ränder der Gesellschaft, sowohl soziologisch als auch geographisch, gegangen. In seiner Nachfolge kann Kirche mehr denn je ihre geistige Kraft mit den Potentialen der Zeit verbinden. Das sage ich ihnen gerade als Agnostiker, dem Verschiedenheit und Evolution ein Anliegen sind. Nehmen Sie es einfach mit als Bestätigung von außen, dass sie an einer ganz heißen Sache arbeiten.