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1. Globale Urbanisierung als unvermeidliche Entwicklung?

Knapp nach dem Beginn unseres Jahrtausends ist ein Paradigmenwechsel in der Betrachtung menschlicher Wohn- und Siedlungsräume eingetreten. (1) War bis dahin das Oberziel eine homogenere Versorgung von Städten und ländlichen Räumen, egal ob durch eine gleichmäßige Verteilung regionaler städtischer Zentren oder durch die Stärkung kleinräumiger dörflicher Funktionskerne, so gilt seither ein völlig neuer Gesichtspunkt, der das Wuchern metropolitaner Regionen explizit begrüßt und ihre Stärkung als Beitrag zur Standortsicherung in einer Zeit verschärfter globaler Konkurrenz explizit fordert. Die Entleerung ländlicher Räume (sofern sie eben nicht Billigwohn - "Hinterland" solcher urbaner Metastasen sind) wird nicht mehr als problematische Entwicklung gesehen, sondern als schicksalhafte Entwicklung, und der Beitrag der Wissenschaft besteht dann in paradoxen Strategemen wie "Entleerung zulassen", "Schrumpfung positiv gestalten" (2) und ähnlichem.

Unberücksichtigt bleiben dabei die enormen Kosten und Risiken des Urbanisierungsprozesses; Kosten sowohl in menschlicher als auch in ökonomischer Hinsicht, und Risiken die weit in die Zukunft reichen. Das wird zumindest auf einer intuitiven Ebene von breiten Bevölkerungskreisen gefühlt. Obwohl sich die Propagandisten der Stadtregionen alle Mühe geben, die Stadt als Hort der Lebensqualität darzustellen, boomen Magazine wie "Landlust", ist der Traum vom Dorf ungebrochen, trotz des Faktums von Bevölkerungsschwund, Leerstand und immer problematischerer Infrastruktur. (3). Die ökonomische Krise hängt wie ein Damoklesschwert auch und gerade über den Städten, "failed cities" wie Detroit und unerschwingliche chinesische Geisterstädte sind ein Menetekel einer Zukunft, in der gerade der immer aufwändigere Standortwettbewerb der Stadtregionen die Grundlagen dieses Entwicklungsmodells untergräbt und unlösbare Probleme schafft, die gerade dem Faktor der Größe geschuldet sind.

Wie dumm muss eigentlich eine Gesellschaft sein, wenn sie alles auf die Karte der Urbanisierung setzt und nicht ihren Erfindungsreichtum und ihre Kreativität auch auf alternative Entwicklungswege lenkt? Wir befinden uns in einer Phase der Ungewissheit, wohl der größten erlebten Ungewissheit in der Geschichte der Menschheit mit Ausnahme von Kriegszeiten. Wir erleben zweifellos den größten Fortschritt in der technologischen und wissensmäßigen Entwicklung in der Geschichte, und doch scheint es so dass sich dieser Fortschritt als allgemeine Unsicherheit, als gefühlter Rückschritt auf vielen Gebieten ausdrückt. Alte Lebensmodelle zerbrechen, während neue, die diesen Namen verdienen, kaum sichtbar sind. Demographische Veränderungen betreffen ja nicht nur das Verhältnis von Stadt und Land, auch von Frauen und Männern, Inländern und Ausländern, Alten und Jungen, wirtschaftlich Erfolgreichen und dem Heer der Marginalisierten.

Die Technologie wirkt wie ein Katalysator auf zerstörerische und auflösende Veränderungsprozesse, aber sie vermag uns keine stimmigen Gesamtlösungen und keinen gesellschaftlichen Grundkonsens zu geben. Damit entfällt aber auch die Grundlage für die Geisteshaltung der Technokratie.

Der unlängst verstorbene Computerpionier Douglas Engelbart, seines Zeichens Erfinder der Maus, der Fenstertechnik, der Hyperlinks und überhaupt geistiger Vater der Idee, dass der Computer weit mehr ist als eine Rechenmaschine, hat diese Entwicklung schon früh vorausgeahnt. Weit davon entfernt, in der Technik einen reinen Hoffnungsbringer zu sehen, wandte er sich aber auch gegen die akademische Gepflogenheit der "Technikfolgenabschätzung" und wissenschaftliches Kassandratum. Er betonte die aktive Mitverantwortung der Wissenschaft für gesellschaftliche Entwicklung, und stellte dem akademischen Betrieb ein Modell lebendiger Laboratorien entgegen, in denen nicht nur technische und soziale Innovationen Hand in Hand gehen, sondern auch alle gesellschaftlichen Perspektiven praktisch einbezogen werden. Er nannte dieses Modell "Bootstrap-Community" (4), nach der Fabel eines Menschen der sich an seinen eigenen Schnürselnkeln in die Höhe zieht.

Zwei wesentliche Merkmale dieser "wissenschaftlich moderierten Zukunftswerkstätten" sind, dass sie in Raum und Zeit, in physischer Realität verankert sein müssen - also alles andere sind als "Simulationen" im Hörsaal oder im Seminarhotel - und dass es zweitens gewünscht und notwendig ist, dass Zukunft etwas mit Träumen und Visionen zu tun hat. Wissenschaft ist nicht einfach das Konstatieren dessen was ist, sondern auch und gerade dessen was sein könnte, ein informiertes Entwerfen eines möglichen Entwicklungszieles. Darin nimmt Engelbart Anleihen beim Indianischen Medizinrat, einem über Jahrhunderte und Jahrtausende tradierten "Betriebssystem für Soziale Innovationen", in dem alle gesellschaftlichen Perspektiven involviert sind. Der Traum, die Vision, die kreative Idee steht am Ausgangspunkt und wird durch alle Phasen und Aspekte nachhaltiger Machbarkkeit berabeitet. Erst wenn dieser Test bestanden ist, wird die praktische Entscheidung gesellschaftlich relevant.

Wo aber sind die Laboratorien für die Zukunft des ländlichen Raumes? Wo sind die "Zukunftsdörfer", die wirklich Gebrauch machen können, dürfen, sollen von den gewaltigen technologischen Möglichkeiten der Kommunikation, der Architektur, der sozialen Erneuerungen, der ökologisch revolutionierten Technologien? Wir sehen nahezu jeden Tag ein neues Hochhaus auf der Welt, mit immer neuen und faszinierenden Techniken und Formen nach der vertikalen Luftkilometermarke strebend, aber wir hören sehr wenig von jener anderen Welt.....


(1) siehe z.B. Werner Bätzing, Der Ländliche Raum - erneut benachteiligt für alle Zeiten? in Mitteilungen der Fränkischen geographischen Gesellschaft, Erlangen, Bd. 53-54/2007, S. 11-36 mit 6 Tabellen und 5 Karten - online unter http://www.geographie.uni-erlangen.de/docs/wba_publ_189_FGG_Band53-54.pdf
(2) siehe z.B. Kröhnert,S./Medicus.F./KlingholzR., Die demographische Lage der Nation - wie zukunftsfähig sind Deutschlands Regionen, München 2006
(3) http://www.welt.de/dieweltbewegen/article13739849/Wo-in-Deutschland-die-Doerfer-sterben.html
(4) siehe dazu: http://www.bootstrap.org