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erscheint gekürzt in der Dezemberausgabe der Contraste, zeitschrift für Selbstorganisation

Herr Nahrada, Sie sind bekannt als Gründer von GIVE, des Global Integrated Village Environments. Können Sie in ein paar Sätzen skizzieren, was unter GIVE zu verstehen ist und welche allgemeinen Ziele GIVE verfolgt?

GIVE ist ein Verein in Wien, der den Aufbau eines globalen Forschungsnetzwerkes zum Ziel hat. Die zugrundeliegende These ist zweifach: erstens dass sich die kritischen Faktoren für eine soziale Innovation häufen, dass aber zweitens diese Innovation nur auf die Welt kommt wenn sich praktische Interessen mit Forschungsinteressen verbinden. Die soziale Innovation von der ich spreche sind physische Orte, die sich bewusst der Kraft globaler Netzwerke bedienen, um ein mehr an Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit zu erzielen. Wenn McLuhan vom Global Village spricht und feststellt dass sich Ereignisse die tausende Kilometer entfernt sind oft tiefer in unsere Wahrnehmung brennen als lokale, dass sie dieselbe Intensität haben wie früher die dörfliche Erfahrungswelt, dann haben wir das aufgegriffen und gesagt: die Netzwerke müssen uns damit nicht unbedingt fortreissen von unserem Nachbarn (das ist weitgehend die heutige Realität), sie können uns zu ihm zurückführen. Sie bieten eine immense Gelegenheit, Wissen und Kompetenz für lokale Entwicklung in unseren nachbarschaftlichen Raum zu bringen. Dadurch entsteht etwas grundlegend Neues: sowohl in institutioneller, sozialer, ökonomischer, architektonischer als auch in ökologischer Hinsicht. Wir brauchen eine „Foresight“ auf das möglich gewordene, um es tatsächlich in die Welt zu bringen. Dazu dient GIVE.

Was hat Sie auf die Idee der Global Villages gebracht?

Das waren eher lebensgeschichtliche Entwicklungen, Erlebnisse in Griechenland, das Leben in Dörfern, aber auch persönliche Involvierung in die unglaubliche Entwicklung der Computer- und Kommunikationstechnologie. Es war ein persönlicher Crossover zwischen fein säuberlich getrennten Welten – und diese Welten wollte ich zusammenbringen.

Gibt es Vorläufer der Global Villages, theoretisch wie praktisch?

Ich sehe wenige Vorläufer, ich sehe eher viele Bausteine. Aber wenn wir zum Beispiel die Inkakultur hernehmen, die vermutlich ihren Aufstieg einer unglaubllich effizienten Kommunikationsstruktur verdankt, durch die nicht nur Ideologie transportiert wurde, sondern auch handfestes und sehr fortgeschrittenes Wissen, zum Beispiel angepasstes Saatgut und Instruktionen für seine Handhabung. Oder das Netzwerk der Zisterzienserklöster, durch das sich auch Handwerkswissen und elementares Aufbauwissen für die Kulturlandschaft verbreiteten, dann kann man sagen, es gibt auch Vorläufer.

Warum spielt bei den Globalen Dörfern die Kommunikation über Internet eine so große Rolle? Steht die Welt der Dörfer nicht eher im Gegensatz zum Welt des Internets?

Das letzte ist zunächst ganz sicher richtig. Auf der Europäischen Breitbandkonferenz wurde aber richtig festgestellt, dass die Welt der Dörfer verschwinden wird, wenn wir sie nicht neu erfinden. Das Internet spielt dort weitgehend die Rolle städtischer Wissensbasen. Damit bleiben ländliche Räume gleichwertig in ihrer Lebensqualität. Mir nutzt die schönste Natur nichts, wenn zum Beispiel eine Krankheit nicht richtig diagnostiziert wird, oder wenn ich zur Arbeit oder zur Ausbildung in die Stadt muss. Die Welt der Dörfer entleert sich deswegen, die Jungen ziehen fort. Das Internet ist ein Baustein, sie zurückzubringen. Nur: der Raum, der es am meisten bräuchte, hat es am wenigsten! Sogar die Europäische Komission hat das „ein beschämendes Marktversagen“ genannt.

Sie sprechen im davon, dass die „Propaganda der Tat“ oft wirksamer sei als das „Beklagen von Missständen“. Was meinen Sie damit?

Dass wir oft gar nicht wirklich wissen, wie wir es anders machen können. Dass wir sehr viele Bedürfnisse, gewachsene und gute Bedürfnisse, in völlig anderer Art befriedigen müssen als es heute geschieht, und dass wir uns kundig machen müssen wie das geht. Propaganda der Tat ist missverständlich, aber man könnte sagen: erst wenn die Alternativen wirklich gleichwertig sichtbar sind, können sie massenhaftes bewusstes Handeln auslösen. Deswegen ist Forschung an den globalen Dörfern unmittelbar politische Aktion und viel wirksamer als das fünfzehnte Sozialforum.

Der Name der „Global Villages“ scheint darauf hinzuweisen, dass die Bewegung vor allem von Dörfern ausgeht, Auch für Kleinstädte sehen Sie eine Schlüsselrolle. Wo haben bei den Global Villages Großstädte ihren Platz?

Ich habe dafür den Begriff „Mutterstädte“ eingeführt, auch ein wenig als Kontrastpunkt zu „Vaterland“. Sicher müssen Großstädte rückgebaut werden, aber es wäre fatal, sie verschwinden lassen zu wollen. Sie sind die großen Wissens- und Könnensspeicher, die Großcomputer unserer evolutionären Fortschritte. Sie haben sich einfach nur verselbständigt und ihre Basis vergessen. Wenn sie sich dieser Basis wieder zuwenden und sich als Netzwerkknoten sehen, dann wären beide Seiten – Stadt und Land – wieder im Gleichgewicht.

Können Sie ein Dorf oder eine Region beschreiben, in der zumindest manche Aspekte einer Global Village bereits umgesetzt wurden?

Es gibt viele Beispiele, aber sie sind noch nicht wirklich rund. Wenn zum Beispiel ein Dorf wie Colletta di Castelbianco in Ligurien von Telearbeitstoristen lebt, die sich in ihre Ferienappartments zurückziehen, dann frage ich mich, ob das nachhaltig ist. Viel zuwenig lokale Bauern, Handwerker, die dafür produzieren könnten. Umgekehrt sehen wir anderswo unglaubliche Entwicklungen in Richtung regionale Kreisläufe, aber denen gehen wiederum die Kunden ab. So verrückt ist das. Wir sagen: nur ein Bündel von simultanen Entwicklungen kann hier ein neues Gleichgewicht erzeugen.

In den vergangenen Jahren ist eine zunehmende Identifikation mit dem Konstrukt der Nation zu beobachten: Rechtsnationale Parteien bekommen Auftrieb, linke Parteien fordern vor allem nationalstaatliche Regulation und auch Separatistenbewegungen sehen ihr Heil vor allem in der Gründung eines eigenen Staates. Kann die Idee der Global Villages dem etwas entgegensetzen?

Ich möchte an dieser Stelle etwas sehr selbstbewusst sagen: wer denn sonst? Wir erleben doch tagtäglich dass das Konstrukt nationalstaatlicher Regulation zusammengebrochen ist. Die Gründe dafür sind den Menschen weniger klar, aber man kann plakativ sagen: was die Finanz- und Wirtschaftskrise ausgelöst hat, die schrittweise Selbstverzehrung des Wertschöpfungsmechanismus, Entwertung durch Produktivität, das bedeutet auch die Entwirklichung des von der Ökonomie getrennten und auf ihr fußenden Staates. Die Idee der Globalen Dörfer setzt dagegen ein ungeheures Reichtums- und Entwicklungspotential, sie ersetzt weitgehend staatliche Regulation durch lokale Selbstbestimmung und kooperative Vernetzung. Sie erlaubt die größte kulturelle Vielfalt zu leben, die die Welt je gesehen hat.

Die Finanzkrise kündigt an, dass die Weltökonomie sich unmittelbar vor ihrer vielleicht größten wirtschaftlichen Krise befindet, viele Menschen werden in den nächsten Jahren ihren Arbeitsplatz und damit ihr Einkommen verlieren. Möglicherweise stehen wir sogar vor einer längeren krisenhaften Entwicklung. Verändert sich die Perspektive der Globalen Dörfer in einer solchen Situation?

Je später wir beginnen, Keimformen zu schaffen, solange wir noch ein halbwegs funktionierendes gesellschaftliches Reproduktionssystem im Rücken haben, umso schwieriger wird der Übergang und umso präkärer werden unsere Handlungsmöglichkeiten. Ich bin kein Verbreiter von ungebrochenem Optimismus der sagt: wird doch unsere Sach mit jedem Tag klarer und das Volk mit jedem Tag klüger. Das erste stimmt sicher, aber das zweite nur sehr teilweise. Wir müssen jetzt aufstehen und sagen: die Zeit für Experimente wie wir aus diesem Schlamassel rauskommen ist angebrochen.

Zusätzlich zur Finanzkrise kommt in den nächsten Jahrzehnten auf die Industriegesellschaft ein geradezu epochales Problem zu: Die Fördermengen der fossilen Energien werden abnehmen. Können Globale Dörfer darauf eine Antwort geben?

Die Idee Globaler Dörfer ist dort am besten umgesetzt, wo das durch unsere verfeinerten technologischen Fähigkeiten erweiterte Gestaltungspotential in hundertprozentige Energieautarkie auf höchstem Niveau mündet. Wir reduzieren drastisch Transporte wenn wir lokale Produktion stärken und erzwungene Mobilität durch freiwillige ersetzen. Zusätzlich aber haben wir dadurch Chancen, diesen zentralen Lebensraum den wir gewonnen haben, nach dem „Paradigma der Pflanze“ komplett umzubauen. Pflanzen sind technologisch gesehen unendlich komplexe und bewundernswerte Geschöpfe: sie leben von Licht, Wasser, Mineralien und dem CO2 der Atmosphäre und schaffen und tragen eine gewaltige Biosphäre. Das schaffen sie durch miniaturisierte Intelligenz. In jedem Blatt arbeiten Myriaden von Quantencomputern. Wir sollten in und mit und wie Pflanzen leben, wenn man so will auch unsere Häuser und Städte nach dem organischen Muster der Pflanze gestalten. In Damanhur gibt es eine kleine Gemeinschaft, die sich „arboricoli“ nennt. Sie leben in Baumhäusern in Symbiose mit den Bäumen, sie forschen über Pflanzenmusik, und sie haben Internet, um ihre Erkenntnisse mit der Welt zu teilen. Das ist die Avantgarde der Globalen Dörfer.

Gibt es spezielle Projekte, die GIVE zur Zeit verfolgt?

GIVE verfolgt mehrere Projekte. Wir sind zur Zeit am aktivsten im Bidungsbereich, wo wir seit 4 Jahren durch Anwendung breitbandiger Videotechnologien und adäquater Moderations- und Übertragungsmethoden interessante Ansätze in der Hebung dörflicher Bildungsqualität unter Beweis gestellt haben. Hier wollen wir einen genossenschaftlichen, solidarökonomischen „Verband der Zugangs- und Lernorte“ aufbauen und anregen, ein gemeinschaftliches Repository aller möglichen Bildungsveranstaltungen zu schaffen, die sich im weitesten Sinn mit Arbeit und Daseinsvorsorge im Dorf beschäftigen. Außerdem suchen wir einen Ort für ein „Kloster des 21. Jahrhunderts, um ein wirklich leistungsfähiges geistiges Kraftzentrum der Globalen Dörfer zu schaffen.