Franz Nahrada / Beitrag Austromarxismus Konferenz |
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am 16.12.2006 im Muqua
Austromarxismus von Außen - eine Utopie der Arbeit im 21. Jahrhundert Wir können uns heute kaum noch Vorstellungen machen, welcher Nimbus und welche Anziehungskraft das Wien der zwanziger jahre umgab. Weltweit wurde das rote Wien Wien mit dem assoziiert,, was in den späten sechziger Jahren San Francisco gewesen ist: ein Ort, an dem mit Konventionen gebrochen und über die Gestaltbarkeit von Gesellschaft nachgedacht wurde. Ich möchte mich weniger mit dem beschäftigen, was damals an revolutionären Ideen gedacht oder ansatzweise versucht wurde - ich bin auch kein Spezialist dafür, dafür sitzen Kompetentere am Podium -, sondern den Sprung zum heute machen. Wir stehen heute vielleicht wie damals am Ende einer Epoche. wir wissen sehr genau wieder einmal was wir nicht wollen. Weltweit kehren Menschen nach 25 Jahren neoliberaler Dominanz dem System des Primats von Kapitalwachstum und marktförmigkeit sozialer Beziehungen den Rücken. Aber diese 25 Jahre waren kein Ausrutscher und keine zufällige Entwicklung. Der Gestaltungskraft des Staates hat nachgelassen, weil der Motor der industriellen Akkumulation ausgebrannt ist. Staat und Markt sind beide an die Systemgrenzen einer Gesellschaft gelangt, in der nur noch mit einem überproportionalen und unverantwortlichen Einsatz von Ressourcen wirtschaftliche Behauptung am Weltmarkt möglich ist. Eine Zeitlang konnte man uns daher mit Erfolg einreden: There Is No Alternative. Doch nicht mehr länger. Der Preis und die Kosten der entfesselten wirtschaftlichen freiheiten der totalen Konkurrenz sind zu hoch geworden, und ihre Versprechungen zielen ins Leere. Die Welt wird zum Kapmpfplatz zwischen bettelarm und steinreich, und die Assymetrie dieses Kampfes fordert einen noch wesentlich höheren Preis von uns allen, den nur wenige zu zahlen gewillt sind. Aber mehr denn je macht sich das Fehlen von Utopien deutlich. Der Austromarxismus ist ein gewaltiges Paradox: er hat den Utopien eine Absage erteilt und sich zum wissenschaftlichen Sozialismus bekannt, aber er hat ein utopienfreundliches Klima geschaffen. Er hat der Allmacht des Staates das Beharren auf Autonomie einer zivilen Gesellschaft gegenübergestellt, aus der letztlich auch die Impulse der Innovation menschlichen Lebens kommen. Sie sind in den zwanziger Jahren trotz allem zu zögerlich gekommen, vielleicht war auch das Mißtrauen und die Kluft zwischen der Fortschreibung des Alten und der Erfindung des Neuen zu groß. Heute sind wir in einer ungleich anderen Situation: die Basis der Identität in der die Wirkmächtigkeit der austromarxistischen Utopien gefangen war, der Umkreis industrieller Arbeit, ist im Kern erschüttert. Aber zugleich ist eine andere Form der Arbeit gewachsen, die in noch viel größerem Ausmaß als die alte Industrielle Arbeit ein ungeahntes Potential neuer Gesellschaftsgestaltung in sich birgt. Diese "neue Arbeit", wie sie von Frithjof Bergmann genannt wird, birgt zwei Charakteristika in sich: erstens ist sie nicht mehr wesentlich an den Tausch Arbeitsktraft gegen Kapital gebunden, sondern sprengt die herkömmlichen Zuschreibungen von Angestellt und Selbständig, ist autonome Arbeit im Netzwerk und auch in viel stärkerem Ausmaß autonom Vernetzungsfähig; zweitens ist sie in einem historisch einmaligen Ausmaß durch Automation unterstützt, daher unbeschränkt kreativ und daher nahe an dem, was seit der griechischen Philosophie als "praxis" bezeichnet wurde: frei gewählt und kreativ. Und, was vielleicht noch bedeutsamer ist: keine abgetrennte Sphäre mehr, sondern zurückkehrend in den Umkreis aller anderen Lebensfunktionen und den Blick auf diese schärfend.
"Um alle Eigentumsrechte unbekümmert besetzten die frierenden und hungernden Massen das Wiener Umland. Die Arbeiter begannen den Boden rings um die Städte und Industrieorte urbar zu machen, auf ihm Gemüse zu bauen und Kleintiere zu züchten. Der Acht-Stunden-Tag gab dieser Bewegung neuen Anstoß; tausende benutzten die eroberten Mußestunden zur Arbeit im Schrebergarten. So wurde Wien allmählich von 60.000 Kleingärten umgürtet. Die Wohnungsnot drängte weiter. Die Kleingärtner begannen, in ihren Gärten auch Wohnhütten zu bauen. Aus solchen vereinzelten Versuchen ging schließlich die Siedlerbewegung hervor (...). Allmählich wuchs aus der Initiative der Massen selbst ein ganzes System gemeinnütziger Bautätigkeit hervor. Die Siedlergenossenschaften bauten Häusergruppen von Einfamilienhäusern (...). Staat und Gemeinde decken den verlorenen Bauaufwand. Diese ganze Bewegung ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Der Ursprung aus der Initiative der Massen selbst zeigt die Schöpferkraft des durch die Revolution geweckten Betätigungsdrangs der Masse." (Otto Bauer, Die Österreichische Revolution, 1923) Von allem Anfang an hatte die Genossenschaft beschlossen, die Siedlung mit einem verhältnismäßig reichen Apparat kultureller und sozialer Einrichtungen auszustatten (...). Dem berechtigten Verlangen nach ruhiger und persönlicher Behausung, die der Entfaltung und Ausbreitung der Individualitäten breiten Spielraum gewährte, war durch eine Fülle von Gemeinschaftseinrichtungen das Gegenteil zu halten, um den notwendigen Ausgleich, die Harmonie der Individual- und Sozialgefühle durchzusetzen. 'Ein Genossenschaftshaus ist das Herz und das Hirn einer Siedlung, Rathaus, Erholungsheim, Klub, Theater, Konzerthaus, Volksuniversität zu gleicher Zeit. Hier wächst der leicht zu verengende Sinn des Kleingärtners und Einfamilienhäuslers ins soziale, allgemeine, bedeutsame. Die vereinzelten werden hier zur fühlenden Gemeinschaft. Die Ideologie der Siedlung als soziale Kategorie wird hier geboren und strahlt wieder auf das Ganze und seine Teile aus. Hier ist der Sitz der frei gewählten Verwaltung, der politischen Kämpfe, der Verbreitung des Wissens, der künstlerischen Erlebnisse, der Feste. Und ein hohes Maß von Geistigkeit der Wiener Siedlungsbewegung offenbart sich darin, dass für fast alle Siedlungen ein solches Zentrum im Mittelpunkt der Hoffnungen stand. (Das Genossenschaftshaus der Wiener Rosenhügelsiedlung und sein monumentaler Bilderschmuck, o.J., S. 16) "Im Gegensatz zu den Bauten etwa des Neuen Frankfurt, die vor allem den privaten Raum zu optimieren suchten, lag das Schwergewicht in Wien damit auf einer Sozialisierung des Wohnens. So wurde betont, man wolle die Befreiung der Hausfrau durch Auslagerung von Haushaltsfunktionen in Gemeinschaftseinrichtungen fördern." (Eve Blau, The Architecture of Red Vienna, Cambridge 1998, S. 204)
http://www.spw.de/9706/otto_bauer.html
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