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Vorbemerkung: Mit freundlicher Erlaubnis des Autors gebe ich hier einen kurzen Aufsatz aus den TA-Nachrichten des ITAS Karlsruhe wieder (Original http://www.itas.fzk.de/deu/tadn/tadn002/stra00a.htm). Ich bin auf Reinhard Stransfeld über Margrit Kennedy aufmerksam geworden, und mir erscheinen zwei Dinge bemerkenswert: Einmal eine realistische Einschätzung des Stands der Bemühungen um nachhaltiges Wirtschaften und die immer noch geringe Verknüpfung mit Regionalisierung; zum Zweiten das klare Herausarbeiten von Hauptachsen an denen wir ansetzen können. Es ist besonders wichtig, daß die verschiedenen Ansätze (Regionalgeld, Technologie/NewWork, Regionalisiereung der Bildung wie wir es im RIC Projekt vorhaben) einander nicht desavouieren, sondern im Kontext sehen. - FranzNahrada

Regionale Ökonomie als räumlicher Orientierungsansatz für integrative Nachhaltigkeit

von Reinhard Stransfeld, VDI / VDE-Technologiezentrum Informationstechnik

Können regionalisierte Formen des Wirtschaftens einen Beitrag zur integrativen Nachhaltigkeit leisten? Welche Voraussetzungen müssen dafür gegeben sein? Gibt es bereits erfolgversprechende Ansätze, die aus eigener Kraft wirtschaftlich lebensfähig sind, also am Markt behauptungsfähig sind? Was müsste darüber hinaus geschehen, um Potenzialen zur Verwirklichung zu verhelfen? Im nachfolgenden Beitrag werden einige prinzipielle Überlegungen zu diesen Fragen angestellt und um Ergebnisse aus der Betrachtung von Fallbeispielen ergänzt.

Einführung

Was ist "regionale Ökonomie"? Im gegebenen Kontext werden darunter Wertschöpfungsketten und Austauschbeziehungen verstanden, deren Ressourcen und Akteure weitestgehend einer Region zuzuordnen sind. Konsequent umgesetzt, stellt sich eine regionale Kreislaufwirtschaft her. Dieses Verständnis regionaler Ökonomie unterscheidet sich von herkömmlichen regionalwirtschaftlichen Orientierungen, die darauf ausgerichtet sind, die Wettbewerbsfähigkeit einer Region gegenüber anderen zu stärken.

Die Fokussierung auf regionale Ökonomie beruht auf einer Grundannahme: Unter den Bedingungen einer ungehemmt globalisierten Wirtschaft und Gesellschaft ist integrative Nachhaltigkeit nicht möglich! In einer regionalen Ökonomie sei es hingegen möglich, folgende Perspektiven einer nachhaltigen Gesellschaft einzulösen:

  • Aufgrund geringerer Bedeutung von Produktivitätsfortschritten Beschäftigung für alle: Überwindung der Beschäftigungskrise.
(Hier würde ich einwenden daß für regionale Ökonomien Produktivitätsfortschritte eine ebenso große, aber qualitativ andere Bedeutung haben können, wobei sicherlich nicht einzelne isolierte Prozesse im Mittelpunkt stehen. Gerade der systemische Produktivitätseffekt, den Joseph Smyth "the economic Power of sustainable development" nannte, und dem z.B. Frithjof Bergmann und Christine Ax auf ihre Art nachgehen ist m.E. der Hauptgrund der möglichen Atrraktivitätsgewinne regionaler Ökonomien - FN)

  • Immunisierung gegen die Unwägbarkeiten und Störeinflüsse spekulativer Kapitaltransfers, um wieder "Herr im eigenen Haus" zu sein: Sicherung der Situationskontrolle.
  • Eine ausdifferenzierte Arbeitswelt mit Chancen für unterschiedliche Begabungen und Profile: Rollenvielfalt.
  • Tätigkeitsfelder für jene ohne Platz in der abstrakten, globalisierten Informationsgesellschaft: Erzeugung gesellschaftlicher Kohärenz.
  • Aufgrund geringerer Mobilitäts- und "Reichweite"-Erfordernisse Beschäftigungsnischen für alte Menschen: Vorbeugung der demografischen Krise.
  • Überschaubarkeit der Aktions- und Erlebnisräume: Erzeugung kultureller Identität und Verantwortung.
  • Angemessene Sozialisationsräume für Kinder und Jugendliche: Sicherung gesellschaftlicher Kontinuität.
  • Versinnlichung von (regionalen) Stoffkreisläufen und Druck zu nachhaltigem Wirtschaften: Sicherung der Zukunftsfähigkeit.
  • Übertragbarkeit auf Länder der dritten Welt zur Überwindung der Elendskreisläufe: Sicherung der globalen Zukunftsfähigkeit.
Gegenwärtige Situation

Es gibt inzwischen vielfältige Aktivitäten auf lokaler bzw. regionaler Ebene, die sich in der einen oder anderen Weise der Nachhaltigkeitsthematik zuordnen lassen. In einer überschlägigen Schätzung erscheint es plausibel, von 500.000 oder 600.000 Personen in Deutschland auszugehen, die in derartige Aktivitäten involviert sind. Zumeist werden jedoch nur Teilaspekte einer integrativen Nachhaltigkeit eingelöst (vgl. Stransfeld 1999a, b).

Zu den wenigen Themen, deren Beitrag zur dauerhaften Erfüllung aller Nachhaltigkeitskriterien einschließlich der Regionalisierung gegenwärtig erkennbar ist, gehört die Direktvermarktung landwirtschaftlicher Produkte. Zu nennen ist ferner die Windenergie, wenn man die industrielle Clusterbildung in der Region Schleswig-Holstein als Potential für die Schaffung von Arbeitsplätzen sieht. Allerdings ist dies nur durch einen hohen Exportanteil möglich, der zugleich die Chancen anderer Regionen, in diesem Feld umfassend zu reüssieren, verringert. Zudem gedeiht dieser Ansatz vor allem durch einen begünstigenden regulativen Eingriff: das Stromeinspeisungsgesetz.

Andere ökologisch nachhaltige und wirtschaftlich selbsttragende Aktivitäten - Kleidung aus Naturstoffen, Lehmbauplatten für den Bausektor - müssen den regionalen Bezug weitgehend preisgeben, um bestehen zu können - sowohl auf dem Beschaffungs- wie auf dem Absatzmarkt. Tauschringansätze, so einleuchtend und attraktiv sie auf den ersten Blick erscheinen mögen, befriedigen nicht selten ein alternatives Lebensgefühl, bleiben aber wirtschaftlich bedeutungslos. Dort, wo ihre Belebung und Aufwertung zur Überwindung von Notlagen gesellschaftspolitisch wünschenswert wäre, verhindern rechtliche und ordnungspolitische Konventionen das Entstehen von "kritischen Mengen".

Bereits unterhalb der regulatorischen Ebene könnte die Entfaltung nachhaltiger wirtschaftlicher Aktivität gehemmt werden. Handwerkliche Reparatur von Geräten als Ressourcen schonende Aktivität im lokalen Umfeld fordert die Industrie heraus, die Gehäuse so zu verkapseln, dass eine Reparatur nicht möglich ist, sondern der Kunde zur Inanspruchnahme des firmeneigenen Ersatzteil-Austauschdienstes genötigt wird.

Im übrigen stehen und fallen derartige Ansätze mit der Bereitschaft Einzelner, Zeit zu opfern und Frustrationen zu ertragen. Erlahmt dieser Wille, brechen viele Initiativen zusammen. Das ist nicht überraschend. Es erfordert stets eine erhöhte Anstrengung, Konzepte neben oder gegen den Hauptstrom zu etablieren und zu sichern. Insofern ist es wichtig und notwendig, der persönlichen Initiative Entfaltungschancen in derartigen Nischen zu eröffnen. So bieten sich etwa im Bereich der ortsnahen Produktion sowie der lokalen Dienstleistungen der persönlichen Bereitschaft und Einfallskraft interessante und auch überraschende Möglichkeiten. Das Ob oder Wie der Übertragbarkeit ist bei gegebenen Technologien und Rahmenbedingungen jedoch im allgemeinen unklar.

Masseneffekte etwa zur Bewältigung der kritischen Lage im Beschäftigungssystem sind auf der Basis des bisher Vorhandenen schwerlich zu bewirken. Regionale Ökonomie ist daher unter gegenwärtigen Rahmenbedingungen ein marginaler Ereignisraum. Dies zu verändern und ihr Potential zur Realisierung integrativer Nachhaltigkeit auszuschöpfen, bedarf einer Rahmenordnung, in der sich die verschiedenen Politiken konsistent zusammenführen lassen.

Systemtheoretischer Paradigmenwechsel

Wie fragil erreichte Fortschritte sind, zeigt die Windenergie. Ein Eingriff in das Stromeinspeisungsgesetz kann die Entwicklung sowohl in die eine wie in die andere Richtung bestimmen. Letztlich wird es darauf ankommen, Prozesse originärer Wertschöpfung in der Region in Ketten und Kreisläufen in großem Umfang zu initiieren. Wie könnte das geschehen?

Der Entwurf einer solchen Ordnung - denn darum handelt es sich letztlich - nötigt zu einem systemtheoretisch fundierten Umgang mit dem Problem.

Ansatzpunkt ist die Nichtbeherrschbarkeit großer, komplexer Systeme. Die Erkenntnisse der Katastrophenforschung (Perrow 1989) führen zur Lösung: Komplexitätsreduktion und (partielle) Entkopplung. In anderem Zusammenhang postulierte Schumacher (1974) Ende der sechziger Jahre "small is beautiful", damals insbesondere auch, um die Ineffizienz großer Strukturen anzuprangern. Es geht also darum, kleinere Systeme zu schaffen und Grenzen zu ziehen. Innerhalb dieser Grenzen kann sich "regionale Ökonomie" entfalten. Dafür müssen im besonderen folgende Voraussetzungen geschaffen werden:

  • die Einrichtung regionaler monetärer Systeme,
  • die Entwicklung von "Small-Scale-Technologien",
  • die Neuausrichtung des Bildungs- und Qualifizierungssystems.
Zu 1.: Durch ein lediglich regional gültiges Verrechnungsmittel entsteht ein Sog nach einem lokal erzeugten Angebot von Waren und Leistungen. Arbeitskraft, die angesichts der hohen Produktivität des globalen Produktionssystems und der wachsenden Lohnkonkurrenz überflüssig geworden ist, kann in solchen (teil-)geschlossenen kleinräumigen Wirtschaftssystemen mit anders qualifizierter Arbeitskraft in fruchtbaren Austausch gelangen, dies auf niedrigerem Produktivitätsniveau. Neben dem Ausschluss der Lohnkostenkonkurrenz werden auf diese Weise auch die economies of scale-Vorteile der global operierenden Unternehmen neutralisiert. Die Rechnung geht auch bei vergleichsweise geringen Absatzmengen auf. Die Marktpreise werden nicht durch globale Kostenkonkurrenz, sondern eher durch den Umfang der erforderlichen Investitionsleistung bestimmt. Es sei denn, dass sich auf regionaler Ebene ebenfalls Konkurrenz herausbildet. Doch verbleibt dann die Wertschöpfung wie auch Überschüsse in der Region, zum Nutzen der dort lebenden Menschen. Zugleich entschärft sich der Zwang zu einer sich ständig beschleunigenden Akkumulation. Notwendig ist die Amortisation als solche, nicht aber eine bestimmte Kurzfristigkeit. Schließlich wird durch zusätzliche regionale Geld- bzw. Verrechnungssysteme den destabilisierenden Einflüssen der globalen Finanzspekulation der Boden entzogen.

Zu 2.: Unter Small-Scale-Technologien werden Produktionstechniken verstanden, die bereits bei geringen Stückzahlen ökonomisch sinnvoll und konkurrenzfähig zum Einsatz kommen. Sie müssen also klein und unaufwendig sein, andererseits technisch anspruchsvoll, um ein breites Spektrum der gegenwärtig in globaler Arbeitsteilung erzeugten Güter regional erzeugen zu können. Als ein Beispiel seien Mikroreaktoren genannt. Durch deren Einsatz in der chemischen und pharmazeutischen Industrie sind wesentliche Erneuerungen und Verbesserungen sowohl unter ökologischen wie ökonomischen Aspekten möglich geworden: Prozessschritte laufen in kleinen Volumina ab, die Prozessausbeute kann erhöht werden, eine Kaskadierung von unterschiedlichen Reaktoren ist möglich. Dadurch ist die Kostenentwicklung über eine größere Bandbreite des Produktionsvolumens proportional, der economies of scale-Effekt ist abgeschwächt. Der Reagenzienverbrauch wird minimiert. Lagerung und Transport von gefährlichen Stoffen wird verzichtbar, die Produktion erfolgt direkt vor Ort.

Zu 3.: Bildung und Qualifizierung bedürfen eines veränderten Zuschnitts. Das bedeutet im allgemeinen eine Verknüpfung der fachlichen Spezialisierung mit einem erweiterten Wissen und Können entlang den Wertschöpfungsketten - mehr "Ganzheitlichkeit" also. Eigeninitiative und Eigenverantwortlichkeit werden deutlich mehr Gewicht haben (müssen) als im heutigen Berufsleben. Dafür müssen Lern- und Lebenswege bereitgehalten werden. Vor allem aber muss ein umgestaltetes Bildungs- und Ausbildungssystem ein viel feiner und breiter gefächertes Angebot an Qualifikationsprofilen bereitstellen. In der Region müssen jetzt alle Kenntnisse und Fertigkeiten vorhanden sein, um die Vielfalt der Güter und Produktionsanforderungen gewährleisten zu können. Vermutlich werden annähernd 200.000 Tätigkeitsprofile benötigt - um einmal einen Eckwert zu nennen. Dies sind wohl bemerkt nicht verschiedene Ausbildungsgänge, sondern im Zuge der Professionalisierung sich ausdifferenzierende Handlungsmuster, die in der regionalen Ökonomie wahrgenommen werden müssen. Dies stellt neue Anforderungen an die inhaltliche und zeitliche Modularisierung der Bildungsangebote mit dem gleichzeitigen Auftrag, dennoch dem Einzelnen ein abgestimmtes Lern- und Erfahrungsangebot zur Verfügung zu stellen. Entgegen gegenwärtig kolportierten bildungspolitischen Dogmen müssen hier die Kompetenzen der Menschen nicht gleichermaßen "modern" sein. Vielmehr ist es eine Frage wirtschaftlich-gesellschaftlicher Organisation, altes und neues Können organisch miteinander zu verbinden.

Schlussbemerkung

"Regionale Ökonomie" stellt einen Raum dar, in dem Erkennen, Handeln und Verantworten wieder in einem Erfahrungszusammenhang verbunden sind - notwendige Voraussetzung für eine komplexe Nachhaltigkeit, die nicht nur vorgedacht und reguliert, sondern vor allem gelebt werden muss. Die umfassende Realisierung setzt allerdings einen Paradigmenwechsel der gegenwärtigen Rahmenordnung und ein Umdenken in der globalen Orientierung der "Modernisierung" voraus - insofern eine durchaus weitreichende und eine auf kurzfristige Erfolge ausgerichtete Politik herausfordernde These.

Literatur Perrow, Ch., 1989: Normale Katastrophen. Campus, Frankfurt

Schumacher, E.F., 1974: Small is Beautiful. Abacus, London

Stransfeld, R., 1999a: Regionale Ökonomie als räumlicher Orientierungsansatz für integrierte Nachhaltigkeit - Eine Bestandsaufnahme. Forschungszentrum Karlsruhe , ITAS (Schlussbericht zum HGF-Projekt, Materialienband 2.A)

Stransfeld, R., 1999b: Regionale Ökonomie für integrierte Nachhaltigkeit: Ansatz und Realität. Forschungszentrum Karlsruhe, ITAS (Schlussbericht zum HGF-Projekt, Materialienband 2.B)

  • Kontakt:
  • Dr. Reinhard Stransfeld
  • VDI / VDE-Technologiezentrum,
  • Informationstechnik GmbH
  • Rheinstraße 10 B
  • D-14513 Teltow
  • Tel.: + 49 (0) 3328 / 435-179
  • Fax: + 49 (0) 3328 / 435-126
  • E-mail:
  • stransfeld(AT)vdivde-it.de
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