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Moschee Im Wiener Schöpfwerk


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Falter 49/09 2.12.2009

„Dann renne ich sofort los“
Moscheen in Gemeindebauten? Das funktioniert. Die Sozialarbeiterin Renate Schnee über die Konfliktlösungsmodelle am Wiener Schöpfwerk

Interview: Isolde Charim

Die Wiener Gemeindebauten mutierten von einer sozialen Errungenschaft zu einem sozialen Brennpunkt. Das Schöpfwerk ist ein Paradebeispiel dafür: In den späten 70er-Jahrenwurde die Prestigesiedlung am südlichen Stadtrand gebaut, heute leben dort 5000 Menschen unterschiedlichster Herkunft, oft ist von ghettoähnlichen Zuständen und einer hohen Kriminalitätsrate die Rede.
Entgegen diesem negativen Image sollte das Schöpfwerk aber für ein ganz anderes Projekt bekannt sein: das Stadtteilzentrum „Bassena“. Hier wird Gemeinwesenarbeit geleistet. Die Sozialarbeiter der „Bassena“ kümmern sich erfolgreich um die vielen explosiven Probleme eines solchen Ballungsraumes – sie ist das einzige Community-Zentrum dieser Art in Wien.
Verantwortlich für den Erfolg ist Renate Schnee. Die Leiterin der „Bassena“ leistet mit ihrem Team seit 26 Jahren kreative Sozialarbeit und sprach mit dem „Falter“ über ihre Arbeit, Moscheen im Gemeindebau und die Pläne der Stadt Wien.

Frau Schnee, der Bürgermeister will wieder mehr Hausmeister im Gemeindebau sehen. Ist das eine gute Idee?
Renate Schnee: Ja. Viele hätten gerne eine Ansprechperson im Haus. Hausbesorger zu sein, ist ein spannender Job. Es geht ja darum, die Kommunikation in der Stiege zu koordinieren.
Ersetzt das Ihre Arbeit?
Schnee: Es wäre eine große Unterstützung. Ersetzen würde es uns nicht.
Worin besteht denn genau Ihre Arbeit?
Schnee: Am Anfang steht immer der Unmut. Wir versuchen dann durch individuellen Kontakt mit den Bewohnern herauszufinden, was gut läuft und was nicht. Dann wollen wir die Menschen dazu bringen, ihre Probleme selbst zu lösen.
Welchen Unmut spüren Sie?
Schnee: Seit Jahren plagen die Menschen dieselben Probleme: die Verschmutzung und Devastierung der Anlage, die Unzufriedenheit mit der Hausverwaltung. Danach kommt gleich der Ärger mit den Nachbarn.
Wer wohnt denn am Schöpfwerk?
Schnee: Ein Drittel ist in den 80er-Jahren als Jungfamilie gekommen. Diese Menschen sind heute schon in der Pension, die Kinder längst weg. Zwei Drittel der Bewohner haben Migrationshintergrund. In dieser Gruppe spricht man rund 20 Sprachen, die meisten haben viele Kinder. Diese neue Nachbarschaft hat Irritationen ausgelöst. Sehr schnell kam es zu Schuldzuweisungen. Früher, wenn es laut war, dann waren halt die anderen laut, heute sind es die „Ausländer“. Lärmprobleme oder Schmutzprobleme werden einfach „ethnisiert“. Dieses Phänomen beobachten wir seit etwa zehn Jahren.
Wie reagieren Sie darauf?
Schnee: Wir schaffen sogenannte Schnittstellen, Orte und Veranstaltungen, an denen Begegnungen zwischen beiden Gruppen ermöglicht werden. Etwa unser Gratisbasar: Wir stellen Räumlichkeiten zur Verfügung. Die Leute bringen Dinge, die sie nicht mehr benötigen. Täglich können sich die Bewohner drei Stück gratis aussuchen. Und siehe da: Es entstehen Kontakte. Es wird plötzlich ganz normal, dass man mit allen, die dort nach Altwaren suchen, ins Gespräch kommt.
Es kommen die Alteingesessenen ebenso wie die „Neuen“?
Schnee: Genau. Österreicher genauso wie Migranten. Es funktioniert! Wir versuchen auch, Kultur und Musik in den Gemeindebau zu bringen. Es gibt etwa eine Kooperation mit den Wiener Festwochen. Kleine Musikgruppen kommen aufs Schöpfwerk, sie spielen in den Wohnungen, wenn eine Familie etwas zu feiern hat.
Wenn nun ein hartgesottener FPÖ-Wähler hasserfüllt gegen die Nachbarn schimpft, was passiert dann?
Schnee:Das passiert sehr oft. Wir versuchen mit diesen Leuten durch eine gute Gesprächstechnik in Kontakt zu bleiben. Natürlich können wir Menschen nicht innerhalb kurzer Zeit verändern. Wir brauchen Zeit, um herauszufinden, was sie wirklich plagt.
Gibt es hier Jugendgangs mit Aggressionspotenzial?
Schnee: Nein, am Schöpfwerk gibt es keine Jugendbanden, es gibt auch keine Übergriff mit Sachbeschädigungen. Da sehr viele Muslime hier leben, reguliert sich sehr viel in dieser Gemeinschaft. Die Muslime haben hier ihre eigene Moschee.
Eine Moschee im Gemeindebau?
Schnee: Ja, ein Gebetsraum ohne Minarett. Die einzige Moschee in einem österreichischen Gemeindebau. Früher war hier ein desolates Büro. Muslime mieten es seit 2004.
Gab es keinen Widerstand?
Schnee: Doch Am Anfang herrschten große Konflikte. Die Muslime zogen ein, ohne dass irgendjemand davon wusste. Als die Leute das bemerkten, sorgte das für Empörung. Zunächst kamen Lärmbeschwerden. Die Ablehnung hat sich aber auch direkt geäußert, es hieß, es sei unerträglich, dass es da jetzt eine Moschee gibt. Wir haben dann alles getan, um diese Moschee zu integrieren.
Aber wie ist es gelungen?
Schnee: Das war harte Arbeit. Österreichische Jugendliche wollten den Gebetsraum sogar abfackeln. Sie hatten einen Auftrag von einem Erwachsenen: „Fenstereinschlagen und abfackeln!“ Eine Frau, die darüber wohnte, ist alarmiert zu mir gelaufen. Sie rief: „Bitte, um Gottes willen, kommen Sie schnell!“
Was machen Sie in so einer Situation?
Schnee: Da renne ich natürlich sofort los. Die Jugendlichen waren nicht mehr dort. Wir haben daraufhin einen runden Tisch organisiert. Politiker, Verwaltung, Vertreter der Moschee, Kirchenleute und Polizisten kamen zusammen, insgesamt 40 Leute.
Auch die unzufriedenen Österreicher?
Schnee: Alle kamen. Die sind für uns die Wichtigsten gewesen. Wir versuchten, alles, was an Vorurteilen in der Luft lag, auf den Tisch zu legen. Die einen fürchteten, die Moschee habe etwas mit Al-Kaida zu tun. In Wahrheit betrieb ein verein den Gebetsraum, dessen Mitglieder, teils Lehrer, teils Arbeiter, die Miete privat bezahlten. Sie boten an, den Raum am einem „Tag der offenen Tür“ vorzustellen. Der runde Tisch ermöglichte, dass Ängste und Befürchtungen artikuliert werden konnten – und zwar vor einer ganz großen Gruppe.
Die Aufregung hat sich gelegt?
Schnee: Ja, und zum Glück hat die FPÖ von der Geschichte nichts erfahren. Es war Millimeterarbeit, den Konflikt zu lösen. So etwa geht nur, wenn man viele Netzwerke geknüpft hat, wenn man viele Leute kennt.
Wie geht nun die Stadt Wien mit Ihrer Arbeit um?
Schnee: Ich bin sehr beunruhigt, wenn ich sehe, was die Stadt Wien momentan anbietet, es entmutigt mich geradezu. Die städtischen Ordnungsberater und „Waste-Watcher“, diese uniformierten Security-Leute, werden gezielt in die Gemeindbauten geschickt, um dort Ordnung herzustellen.
Die Stadt Wien setzt also mehr auf Ordnungspolitik, statt die Community-Arbeit zu fördern und die Leute zur Selbsthilfe anzuleiten?
Schnee: Genau das ist der Punkt. Das Rathaus glaubt, dass Sicherheit damit erreicht wird, wenn Ordnungstruppen durchmarschieren und 36 Euro Strafe kassieren, wenn jemand die Hausordnung verletzt. Ich fürchte mich davor. Dieses Konzept wird nur Misstrauen säen. Das Vorgehen der Stadt Wien repräsentiert genau das Gegenteil von dem, was wir hier versuchen: Wir wollen eine soziale Kommunikation herstellen, die Probleme und Konflikte nachhaltig löst.