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Nackte Tatsachen

Zahlen erklären nicht die Welt, aber sie sparen viele Worte. Die Hitliste der Milliardäre, die das amerikanische Wirtschaftsmagazin Forbes jedes Jahr erstellt, hat auch 2006 einen kräftigen Zuwanderungsschub erhalten. 102 Namen sind im Club der Milliardäre hinzugekommen. 793 Milliardäre auf der Welt stehen 3 Milliarden Menschen gegenüber, die mit weniger als 2 Dollar am Tag auskommen müssen, davon 1,3 Milliarden mit weniger als 1 Dollar pro Tag. Ja, Milliarden als Besitz sind etwas anderes als Milliarden, die hungern. Milliarde ist nicht gleich Milliarde. Die 38 reichsten Länder der Welt mit 1,2 Milliarden Einwohnern haben zusammengezählt ein Bruttoinlandsprodukt von 26,7 Billionen Dollar. Die ärmeren Länder kommen mit 4,8 Billionen Dollar Bruttoinlandsprodukt aus, das sich 5,476 Milliarden Menschen teilen.

Pro Tag ergibt das für die einen ein Durchschnittseinkommen von 60,96 Dollar und für die anderen von 2,40 Dollar. Auch hierzulande klafft ein Abstand zwischen Reich und Arm. Die Zahl der Millionäre hat noch nie so schnell zugenommen wie in den letzten Jahren. 1970 gab es 217 000 Einkommensmillionäre, heute gibt es über 1,5 Millionen.

Die 358 reichsten Familien besitzen die Hälfte des Weltvermögens. Die 500 gröss­ten Privatgesellschaften der Welt kontrollieren 52 Prozent des Weltsozialproduktes. Diese 500 Konzerne sind reicher als die 133 ärmsten Länder der Erde. Zwischen 1980 und 1995 erhöhte sich das Gesamtvermögen der 100 grössten transnationalen Konzerne um 700 Prozent. Die Zahlen sind zu Gunsten der Reichen und zum Nachteil der Armen eher geschönt. In die Durchschnittseinkommen der armen Länder gehen die Einkommen der dort lebenden Superreichen ein und erhöhen die Durchschnittssumme. Durchschnittsangaben sagen nichts über die Bandbreite der Angaben, deren arithmetischer Mittelwert sie sind. Wenn Armut und Reichtum gleichmässig steigen, bleibt der Durchschnitt unverändert. Durchschnittssummen sagen also noch nichts über das Ausmass des Unterschiedes zwischen Reich und Arm aus. Wenn einer zwei Bratwürste isst, der andere aber keine, haben beide durchschnittlich eine Bratwurst gegessen. Nur mit dem Unterschied, dass der eine satt und der andere hungrig ist. Der Abstand zwischen Reich und Arm wächst. Die Reichen werden reicher und die Armen ärmer. Das Vermögen der Dollarmilliardäre ist von 2003 bis 2005 um 57 Prozent gestiegen. Die Differenz der Einkommen zwischen den reichsten und den ärmsten Ländern wird immer grösser. 1820 verhielt sich der Abstand wie 3 : 1, 1950 wie 35 : 1, 1992 wie 72 : 1. In 98 Ländern sind die Einkommen niedriger als vor 10 Jahren. In Afrika liegen sie 20 Prozent unter dem Niveau von vor 25 Jahren. 1 Milliarde Menschen hat keinen Zugang zu sauberem Wasser. 600 Millionen sind nicht dort, wo sie leben wollen, sondern vertrieben oder geflüchtet. 30 000 Menschen sterben täglich, weil sie nichts zu essen oder nichts zu trinken haben. Kinder verrecken. 8000 Kinder sterben Tag für Tag an Krankheiten, vor denen Impfungen sie geschützt hätten.

Für viele gibt es keinen Arzt, keine Schule, für ihre Eltern keine Arbeit. Es fehlt alles, was lebensnotwendig ist.

250 Millionen Kinder sind zur Arbeit gezwungen. In den gleichen Regionen sind 900 Millionen Erwachsene arbeitslos. Die Kinder schuften, die Eltern lungern arbeitslos zu Hause herum. Die einen verhungern, die anderen verfetten. Globale Schizophrenie? Die Welt ist verrückt geworden. Allein die Mittel, welche in Amerika (8 Milliarden Dollar) und in Europa (11 Milliarden Euro) für Eiscreme und Kosmetik ausgegeben werden, würden die Kosten abdecken, um 2 Milliarden Menschen eine Grundschulausbildung und sauberes Wasser zu beschaffen. Ein Quäntchen mehr Gerechtigkeit – mehr nicht –, und das Elend verschwände aus der Welt. Der Mensch: «Krone der Schöpfung», «Gotteskind» – homo sapiens – animal rationale. Wie schön sind die Worte, mit denen wir den Menschen schmücken, und wie schmutzig das Elend, in dem der grössere Teil der Menschheit watet. Wir sind fähig, Menschen zum Mond zu transportieren, und gleichzeitig unfähig, Gerechtigkeit auf der Erde landen zu lassen.

Was nutzt die Sonde auf dem Mars, wenn die Brunnen in der Sahara austrocknen? Der Mensch, das vernunftbegabte Wesen, vergeudet seine Intelligenz an Nebensächlichkeiten. Am Streit über die Genauigkeit der Armutszahlen beteilige ich mich nicht. Denn selbst wenn die Zahl der Armen übertrieben wäre, was unwahrscheinlich ist, schreit das Elend zum Himmel. Beginnt der Skandal, wenn ein Kind verhungert ist, oder erst, wenn eine Million Kinder verhungert sind? Zahlen, Statistiken, Diagramme sind totes Material. Das Verlangen nach Gerechtigkeit kann dadurch argumentativ gestützt werden, aber entzündet wird es dadurch nicht. Entflammt wird der Aufstand gegen Ungerechtigkeit durch das angeborene Bewusstsein der Menschen, dass sie Anspruch darauf haben, als Menschen anerkannt zu werden. Das ist ein Recht und kein Almosen.

aus: Norbert Blüm, Gerechtigkeit. Eine Kritik des Homo oeconomicus, S. 15ff.