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Die folgende Zusammenstellung erfolgte von Prof. Ernst Gehmacher im September 2004
Inhaltsverzeichnis dieser Seite
SOZIALKAPITAL – DIE IDEE   
SOZIALKAPITAL – EIN NEUER BEGRIFF   
SOZIALKAPITAL – BASISMODELL   
SOZIALKAPITAL – DIE FORMEL   
SOZIALKAPITAL - DAS SYSTEM-MODELL   
SOZIALKAPITAL - MINIMAL-DIMENSIONEN   

SOZIALKAPITAL – DIE IDEE    

Jeder Mensch braucht Gemeinschaft - Familie, Freunde, Schule, Betrieb, Vereine und Organisationen, Kirche, Partei und Staat. Einsam und verlassen will niemand sein, das macht unglücklich und krank. Aber warum nennt die Soziologie Liebe, Verbundenheit und Vertrauen „Sozialkapital“, wozu will die Weltwirtschaftsorganisation OECD jetzt Sozialkapital messen?

Statistiken und Studien zeigen: der „Kitt der Gesellschaft“ löst sich heute allenthalben auf - die Familien zerfallen, Vereine und Parteien verlieren Mitglieder, Glaubensgemeinschaften schrumpfen und egoistische Ordnungslosigkeit breitet sich aus. Und die Suche nach Halt und Geborgenheit wird von Ver-“Führern“ missbraucht - für Krieg und Terror, Fanatismus und Sucht, Machtgewinn und Ausbeutung. Oder einfach fürs Geschäft. Nicht jede Gemeinschaft ist humanitär.

Um zwischen den Extremen von Mangel und Missbrauch ein harmonisches Maß sinnvoll genutzten Sozialkapitals flexibel anzusteuern, bedarf es eines selbststeuernden Feedback-Systems, wie die Marktwirtschaft das für die Güter und die Demokratie für die Macht leistet. Und was für die Wirtschaft das Geld und für die Politik die Wählerstimmen, das soll für die Gemeinschaft das Guthaben an Sozialkapital sein, gemessen mit dem Zollstab der Wissenschaft.

Leicht anwendbare Tests für Sozialkapital, theoretisch fundiert, werden nun entwickelt. Ihre allgemeine Gültigkeit, in verschiedenen Kulturen und Gemeinschaften, steht noch vor messtechnischen Problemen. Doch das Wissen wächst mit der Anwendung.

Der Verbesserung und Vermehrung von Sozialkapital steht im Wege, dass Gemeinschaftspflege meist schon in traditionellen Formen verankert ist und Neuerungen (Innovationen) sofort etwas kosten, aber selten sehr schnell Ertrag bringen. Diese Trägheit des Systems begünstigt eher Strategien der radikalen „Wende“ in der Krise und „großer“ Struktur-Lösungen von oben - und nicht das rationale Verfolgen nachhaltiger Verbesserungen in kleinen Schritten. Und gerade ein solches bedachtsames - aber entschlossenes und zielgerichtetes - Vorgehen in kontrollierten Experimenten ist dort notwendig, wo nicht erst nach der Katastrophe, sondern schon aufgrund von Frühwarnungen, nicht in Revolution, sondern durch Reformen, nicht kurativ, sondern präventiv, nicht nur für den Augenblick und Augenschein, sondern nachhaltig Gemeinschaft erhalten, bestärkt oder begründet werden soll.

Was kann das Neue sein, mit dem Sozialkapital in kleinen Schritten nachhaltig produziert wird?

Da lassen sich aus der bisherigen Erfahrung bei Anwendungen in Österreich nur vereinzelte Beispiele anführen:

  • die Erweiterung bestehender Vereine in neuen Gruppen für zu wenig erfasste Populationen, für die Jugend, für Minderheiten, für neue Hobbys und Fertigkeiten;
  • die Zusammenarbeit von Schulen und Vereinen in Gemeinschaftsaktivitäten;
  • die Einbeziehung von Patienten in Fragen der Medikation, der Pflege und der Spitalsgestaltung;
  • die Verlagerung von Schulunterricht in Projektgruppen und Interessengemeinschaften mit kollektiver Autonomie;
  • der Bau von Wohngebieten zum „Themenwohnen“ mit speziellen Anliegen („Integrationshaus“, „autofreie Siedlung“);
  • EDV-gestütze Vernetzung von Einzelunternehmern in einem Vielzweck-Erfahrungsaustausch-Verein.
Die Chance für eine breite Anwendung des Instruments der Sozialkapital-Messung in einer Vielzahl sozialer Erfahrungen und Reformen - und damit die Chance einer effizienz-orientierten Selbststeuerung von Gemeinschaft - liegt in der einfachen und billigen Anwendung.

Sozialkapital erlebt jeder Mensch selbst - als Vertrauen, Freundschaft, Geselligkeit, Dabeisein, Begeisterung und Glauben, aber auch als Einsamkeit, Misstrauen, Enttäuschung. Jeder kennt seine eigenen sozialen Beziehungskrisen. Und das sind interessierende Fragen. Wenn die vertrauliche Behandlung der Antworten glaubwürdig gesichert ist (durch Anonymität und Datenschutz), ergibt eine einfache schriftliche Befragung (bei Lesekundigen) gute Auskünfte. Und das Ergebnis wie der Wert eines solchen Sozialkapital-Tests wird noch besser, wenn in einer Gemeinschaft alle sich mit den Sozialkapital-Fragen beschäftigen und wenn auch alle dann wesentliche Ergebnisse erfahren - und damit einen Maßstab für sich selbst und die sie selbst betreffende Gemeinschaft erhalten. Eine solche „Totalerhebung mit Feedback“ kann in jeder Schule, jedem Betrieb, jedem Verein, jeden Dorf durch Verteilung oder Zusendung und mit dem Rücklauf durch Einwurf in eine „Urne“ oder Rücksendung im frankierten Kuvert ohne Absender im Rahmen der üblichen Informationsroutinen (in der Schule im Unterricht, in der Gemeinde über Mitteilungsblatt und Bürgermeisterbrief) abgewickelt werden. Die Auswertung ist dann Routine.

Der kritische Punkt ist: was tut man mit dem Befund? Denn die Therapie muss die Gemeinschaft selbst leisten. Doch sie hat dann die Möglichkeit, ihren Erfolg zu prüfen: hat sich das „eigene“ Sozialkapital gegen den negativen Trend behauptet - oder sogar vermehrt.

Wenn zusätzlich zur wirtschaftlichen Ertragsbilanz und zum Regionalprodukt auch die Sozialkapital-Bilanz in die Erfolgsrechnung der Gemeinschaften, jeder Größe, eingeht, dann ist ein weiteres Stück des Wegs zu einer stabilen friedlichen Menschheit getan, die trotz der beeindruckenden Fortschritte in Wohlstand und Demokratie bisher nicht erreicht werden konnte. Dem Veredle-dich-selbst muss immer das Erkenne-dich-selbst vorangehen.

SOZIALKAPITAL – EIN NEUER BEGRIFF    

Der Begriff Sozialkapital umfasst Zusammenhalt und Zusammenarbeit in einer Gesellschaft, Solidarität und Gemeinsinn. Sehr weit gegriffen: das Wesen und das Funktionieren von Gesellschaft überhaupt. Ursprünglich ein Fachausdruck aus dem Überschneidungsbereich von Ökonomie und Soziologie wird dieser Terminus technicus nun von der OECD für ein Forschungsprogramm benutzt, das hoch zielt: „Measuring Social Capital“ - die vergleichende Messung jener Gemeinschaftskräfte, die Demokratie und Wohlstand garantieren.

Hinter diesem Vorhaben steht die historische Erfahrung mit dem Erfolg der Entwicklungshilfe durch Finanzkapital und Humankapital. Auf diesen beiden Pfeilern wurde, unter Nutzung der Natur-Ressourcen (an Boden, Bodenschätzen, fossiler Energie) die globale Nachkriegsordnung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgebaut. In Ländern mit genügend sozialem Zusammenhalt hat es genügt, Investitionen zu finanzieren und die Schulbildung auszudehnen, um Wirtschaft und Demokratie auf die Erfolgsbahn zu bringen. Europa und Ostasien sind Beispiele dafür. Doch in großen Teilen der Welt (Indien, Schwarz-Afrika, Lateinamerika) verflüchtigt sich Finanzkapital in Korruption und Verschwendung, Humankapital in Fehlqualifikation und Eliten-Emigration. Als Grund für solches Versagen von Geld und Schulung sieht man den Mangel an Sozialkapital an.

Voraussetzung für Wirtschaftswachstum und Frieden auf der ganzen Welt sind nach heutiger Sicht die Entwicklung von sozialen Ordnungen, die Investition in Sozialkapital und dessen Verwendung als gesellschaftlicher Erfolgsfaktor. Doch damit nicht genug. Es gibt alarmierende Anzeichen, dass sich in der Modernisierung auch in den hochentwickelten Gesellschaften der traditionelle „Kitt der Gesellschaft“ schneller auflöst, als neues Sozialkapital entsteht - dass Familie und Nachbarschaft, Berufs- und Standesvereinigungen, religiöse und politische Verbände ihre Bindungskraft stetig einbüssen, der Ersatz durch zeitgemäße Formen von Zusammenhalt (wie Lebensabschnittpartnerschaft, Wohngemeinschaften, Internet-Chat-Groups, Freundschafts-Netze in Tele-Working und Tele-Learning, transnationale Kollegenschaften) aber das Vakuum nicht decken. Als Folge breiten sich Vereinsamung, Bindungslosigkeit und Haltlosigkeit aus. Engagement und Vertrauen leiden, Verantwortungsscheu und Aggression nehmen zu und gefährden schließlich den Erfolg von Wirtschaft und Gesellschaft.

Der Schaden trifft zuerst einzelne „Verlierer“ individuell - dann kollektiv die Gemeinschaft. Und es wird immer schwerer, aus einem solchen „circulus vitiosus“ von Gemeinschaftsversagen („Anomie“) und Misserfolg (Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit, Konflikt-Eskalation und Aggression) wieder auszubrechen, wenn ein solcher „Teufelskreis“ erst einmal in Gang ist. Es sei denn, es gelänge eine Erneuerung, die in einer Sammlung von innovativen Ideen und Kräften die Wende zu einem neuen starken Zusammenhalt und damit zu Kooperation und Aufschwung zuwege bringt.

Dieses Denkmodell liegt dem neuen Interesse an der Messung und damit der gezielten Produktion von Sozialkapital zugrunde.

Wer hat Sozialkapital?

Offenbar können Individuen wie Kollektive - von der kleinsten Gemeinschaft der Familie und des Freundeskreises bis zur Nation, zur EU und sogar der Menschheit - soziale Bindungen, Hilfebeziehungen und Vertrauensverhältnisse haben und nutzen, gewinnen und verlieren. Eher zum Zweck der leichteren Handhabbarkeit geht die Neigung heute dahin, Sozialkapital als Besitz und Qualität von „Sozietäten“, also gesellschaftlichen „Einheiten“ (Entitäten) mit klarer Identität und Abgrenzung zu sehen - etwa von einzelnen Wohnquartieren, Betrieben, Schulen, Vereinen, Kommunen bis zu ganzen Nationen.

Kleine Sozietäten sind stärker persönlich verbunden. Man kennt einander - auch wenn es sich nur um einen lose verbundenen Wochenend-Stammtisch oder einen Schrebergarten-Verein handelt. Mikro-Sozietäten können für sich allein oder nur in einem losen Nebeneinander bestehen - etwa als Klein- und Mittelbetriebe oder als Mieterverein einer Wohnhausanlage. Doch viele kleine Sozietäten sind Teil einer größeren Einheit: Filialen eines Unternehmens, Ortsgruppen eines Vereins oder einer Partei, Haus-Mietervereine in einer Wohnbaugenossenschaft.

Nationen, Religionen, Weltorganisationen und internationale Groß-Unternehmen (Makro-Sozietäten) können Gemeinschaft nicht durch persönlichen Kontakt herstellen. Sie müssen Einheitsgefühl durch Symbole und Glauben gewinnen oder durch Macht und Gesetz erzwingen. Dazu können sie das Sozialkapital ihrer untergeordneten Organisationen und Einzelgruppen (Meso- und Mikro-Sozietäten) nützen. Oder die führenden Mikro-Sozietäten (Eliten und Management) vermitteln den „Massen“ über Predigt und Propaganda, Star-Vergötterung und Großveranstaltungen, über Dauerberieselung mit Worten und Bildern (Musik nicht zu vergessen) Sinngefühl und Ehrfurcht, Begeisterung und Furcht - und mobilisieren so, medial, Sozialkapital aus der kollektiven Identifikation.

Wie groß Makro-Sozietäten und wie klein Mikro-Sozietäten sein können, ist nur bedingt eine Frage der Mitgliederzahl. Es gibt, in traditionellen Gesellschaften, Familienverbände und Dorfgemeinschaften, wo mehrere hundert, ja, mehr als tausend Menschen einander persönlich kennen - und in enger Gemeinschaft (die sich allerdings dann doch wieder in Freund-Feind-Zirkeln gliedert) verbunden sind. Dazu bedarf es eines lebenslangen auf einen engen Bereich konzentrierten Zusammenlebens, wie es in modernen Gesellschaften nur ausnahmsweise (in elitären „Orden“, in isolierten beruflichen oder ethnischen Minderheiten) vorkommt.

Doch enge menschliche Beziehungen sind nicht an die Grenzen einer Sozietät gebunden. Primäres Sozialkapital, auf informellen persönlichen Kontakten der „Liebe“ und „Freundschaft“ beruhend, kann zwischen Personen unterschiedlichster Sozietäten bestehen (woraus dann aber auch wieder eigene Klein-Gemeinschaften zusammenwachsen können). Wo aber formale Mitgliedschaft und bürokratische Statuten wesentlich werden - und „Freunderlwirtschaft“ in Verruf gerät - handelt es sich um Meso-Sozietäten. Und dort ist für das Funktionieren des „sekundären“ Sozialkapitals (Meso-Sozialkapitals) wechselseitiges (reziprokes) Vertrauen unerlässlich.

Die Makro-Sozietät lässt sich schwerer eindeutig definieren. Sie kommt jedenfalls nicht mehr allein mit persönlichen Kontakt-Bindungen und rationalen Statuten aus. Sie braucht „kulturelle“ künstliche Identifikation und Motivierung - und die entsprechenden Sozialtechniken dafür, zur Produktion eines eigenen symbolischen Sozialkapitals. Auf die Zahl kommt es dabei nicht an. Eine kleine politische Partei mit ideologisch fixierten „fanatischen“ Anhängern („Stammwählern“) und vielen Teilorganisationen ist genau so als Makro-Sozietät zu verstehen wie eine große „lose“ organisierte Partei, die ihre Stärke bei Wahlen durch die jeweilige Attraktion von „Wechselwählern“ sucht. Und keine Nation mit einer eigenen Regierung, eigenen Medien und eigenen Vereinen ist zu klein, um als Makro-Sozietät zu zählen - doch mag es Luxemburg, der Schweiz oder Finnland leichter fallen, ein hohes Sozialkapital zu erreichen und zu bewahren als den USA oder der EU als Gesamtheit.

Die Bindungskraft nimmt mit der Größe der Sozietät ab. Unter sonst gleichen Bedingungen. Denn neben der Größe sozialer Gemeinschaften ist für die Stärke ihres Sozialkapitals deren lose oder straffe Verbundenheit ausschlaggebend. Locker organisierte Sozietäten lassen viel Freiraum für Individualismus und die Entfaltung von untergeordneten Sozietäten, sind aber auch eher von Konflikt und Zerfall bedroht. Straffe Organisation, die wenig Ausscheren erlaubt und alle Mitglieder in einem festen Ordnungsnetz fesselt und stützt, muss die Erstarrung zum unflexiblen Apparat und die Isolierung in einer „Festungsneutralität“ befürchten.

Zusammenfassend: Größe, innere Gliederung, Struktur einer Sozietät und deren Beziehungen zu unter- und übergeordneten Sozietäten bestimmen Form und Stärke des Sozialkapitals - und sind bei der Analyse wie der Bewertung von Sozialkapital zu berücksichtigen.

Was ist Sozialkapital?

Für die Beschreibung von Sozialkapital hat sich als Merkformel das Kürzel TNT durchgesetzt: Ties, Norms, Trust - Bindungen, Normen, Vertrauen.

Bindungen und Beziehungen, der emotionale „Kitt“ der persönlichen Vernetzung, sind überall in und zwischen Sozietäten vorhanden - unerlässlich, aber in ihrer chaotischen und egoistischen Zufälligkeit auch manchmal unverlässlich und in Krisen destruktiv (Rivalität „Bruderkrieg“).

Normen, als selbstverständliche Gewohnheiten und Regeln oder als strenge Verpflichtungen, bauen feste Ordnung. Soziale Netze werden erst durch ihre Normen zu Sozietäten.

Vertrauen gibt den Bindungen erst Wärme, den Normen erst Kraft. Weder Kontrolle und Zwang noch Liebe und Lohn können Vertrauen vollwertig ersetzen. Vertrauen ist das Öl der Kooperation.

Die drei Komponenten von Sozialkapital sind eng verbunden. Wo es an einer davon mangelt, leiden auch die anderen. Das Mehr oder Weniger dieser drei Qualitäten addiert (besser: multipliziert) sich zum Sozialkapital. Die Sozialkapital-Theorie hat die grobe Quantifizierung uralter Volksweisheit übernommen und klassifiziert „dicke Freundschaft“, „thick trust“ und „eiserne Normen“.

Wem hilft Sozialkapital?

Der Zusammenhalt innerhalb einer Sozietät ist nicht dasselbe wie der Zusammenhalt einer Gruppe mit einer anderen. Im Gegenteil: oft halten (kleine wie große) Gesellschaften umso fester zusammen, je schlechter sie sich mit den Nachbarn verstehen. Und Feindschaft nach außen, Fremdenhass, wird in Krisen von „Einigkeits-Schmieden“ gern geschürt, um alles (schwindende) Sozialkapital für den inneren Zusammenhalt zu mobilisieren.

Die Sozialkapital-Theorie unterscheidet da zwischen den Kräften der inneren Bindung („Bonding“) und dem Brückenschlag zwischen Sozietäten („Bridging“).

Durch das „Bonding“ wird die Identifikation mit der „eigenen“ Sozietät durch Abgrenzung bestärkt. Nur die Bindung an eine größere, höhere Einheit mildert diese Ausgrenzungs-Tendenz. Sobald die übergeordnete Einheit aber wegfällt und Individuen oder Untereinheiten isoliert „Fremden“ gegenüberstehen, wird „Bridging“ notwendig, um Verbundenheit herzustellen. Subjektiv wird solches Überbrücken von Fremdheit als ethische Forderung, als schwierige, „nicht selbstverständliche“ Moral-Leistung empfunden.

Objektiv können Innen- und Außenbeziehungen rasch umschlagen. In der Habsburger Monarchie waren die sozialen Bindungen zwischen Österreich und Ungarn (oder Böhmen) noch „Bonding“, nach 1918 wurden sie zum „Bridging“, das gerade deshalb recht erfolgreich geworden ist, weil von dem versagendem „Bonding“ viel ins „Bridging“ herübergerettet wurde.

Kompliziert ist der Sachverhalt in der Beziehung zwischen einer größeren Sozietät mit ihren Untereinheiten. Für eine Firma bildet die gute Beziehung zu ihren Filialen wertvolles „Bonding“-Sozialkapital. Die Filialleiter, um eine gutes internes Betriebsklima in ihrer Filiale besorgt, werden jedoch manche interne Kritik auf die übergeordnete Firma ableiten - obwohl sie gleichzeitig auch das „Bridging“-Sozialkapital zum Firmen-Dach (mehr oder weniger) pflegen werden. Dasselbe gilt für Bundesstaat und Bundesländer, für Rom und die Diözesen der katholischen Kirche, für die EU und deren Mitgliedsstaaten.

Daraus ergibt sich die Regel: Sozialkapital ist der Zusammenhalt einer Sozietät – der aber bei jeder Gemeinschaft auch auf der Verbundenheit und Kooperation zwischen kleineren Untereinheiten beruht.

Sozialkapital versteht sich als eine Ressource, die produziert werden muss und investiert werden kann, die sich für Gebrauch wie Missbrauch leiht. Hierin liegt der Vorteil dieses Begriffs gegenüber ähnlichen Wort-Etiketten wie Gemeinsinn, Solidarität, Patriotismus, Betriebsklima, Parteitreue, die weniger Input und Output von Investitionen implizieren - und die nur positive (oder negative) Effekte ins Auge fassen. „Sozialkapital hat auch eine Räuberbande“ - und eine fundamentalistische Diktatur. Und Sozialkapital kann vergeudet werden. Vor allem aber: Sozialkapital wächst nicht von selbst.

Ziel des OECD-Programms ist es, zur Bestärkung jener Art von Sozialkapital anzuregen, das wirtschaftlichen Erfolg (Wirtschaftswachstum), Lebensqualität, Gesundheit und Wohlbefinden fördert und Konflikt, Aggression, Korruption und Kriminalität hintanhält. Dazu sollen alle Mitgliedstaaten der OECD motiviert werden, geeigneten Input in Sozialkapital zu veranlassen. Gemeinschafts-Erziehung und Bildung zu sozialer Kompetenz, Ausdehnung demokratischer verantwortungsvoller Mitbestimmung und die Vermittlung des erwünschten Sozialkapitals durch die Kultur sind dafür Investitions-Bereiche.

„Measuring Social Capital“ hat durch die Beistellung glaubwürdiger Pegel den Sinn, solche Investitionen, die viel Geld, Mühe und politisches Engagement kosten, auch wirkungsvoll einsetzen zu können.

SOZIALKAPITAL – BASISMODELL    

Ein harmonisches Optimum von Sozialkapital der drei Ebenen

  • MIKRO: persönliche Nahebeziehungen
  • MESO: aktive Integration in Vereinen und Gruppen
  • MAKRO: Identifikation mit Symbolgemeinschaften
entsteht individuell durch
    • Persönlichkeitsdispositionen (emotionale Konstitution, Extraversion),
    • frühkindliche Prägung,
    • Sozialisation (Lernen und Übung) in Jugendmilieu und Ausbildung,
    • Beruf (Kooperation und Klientenkontakt).
Das kollektive Sozialkapital ergibt sich aus der
    • Summe des individuellen Sozialkapitals der Mitglieder der Sozietät,
    • der sozialen Qualität der Gemeinschaft („Betriebsklima“),
    • der Kultur der Gesellschaft und des sozialen Milieus.
Mangel an individuellen Sozialkapital hat zur Folge:
	Lustlosigkeit und Unglücklichsein,
	psychische und psychosomatische Krankheiten,
	Angstneigung (Anxiety, Neurotizismus),
	Suchtverhalten (Psychodrogen, Genussmittel, Ablenkung),
	Motivationsschwäche.
Reichtum an individuellem persönlichen Sozialkapital bestärkt
	Gesundheit und Resistenz
	Psychische Stabilität und Lebensfreude,
und befähigt zu höherer Leistung in allen Lebensbereichen.

Inwieweit diese Stärken zum Nutzen (Effizienz) einer Sozietät (Betrieb) umgesetzt werden, hängt vom kollektiven Sozialkapital und den Motivationsstrukturen (Normen und Kontrollen, Anreize und Entlohnung) ab.

Mangel an kollektiven Sozialkapital hat in der Sozietät zur Folge:

  • Anomie (Defizit an festen Normen, an Ordnung und Disziplin),erhöhte Fluktuation,
  • Kriminalität (Korruption, Betrug, Diebstahl, Mobbing, Gewalt),steigender Kontrollaufwand.
Reichtum an kollektivem Sozialkapital bringt
  • Stolz auf die Sozietät,
  • hohes Ansehen der Sozietät,
  • hohes Leistungsniveau,
  • Partizipation (Mitdenken und Mitarbeit, Fähigkeit zur Mitbestimmung),Einsatz und Opferbereitschaft.
Eventuelle Nachteile zu starker Konzentration von Sozialkapital in einer Sozietät („Bonding“ ohne „Bridging“) sind
  • Hybris (Selbstüberschätzung der Sozietät, Rigidität),
  • Innovationsträgheit (mangelnde Anpassungsfähigkeit).
Das Modell darf nicht als „geschlossen“ verstanden werden. Wesentliche Wirkungsfelder spielen in den Sozialkapital-Komplex hinein und beeinflussen für sich und über das Sozialkapital die Effizienz einzelner Sozietäten (Unternehmen, Betriebe): der Einfluss der Subsysteme (Untereinheiten)
	die Quantität der Supersysteme (übergeordnete Großeinheiten),
	der Wettbewerb mit den Konkurrenten,
	die externen Faktoren aus Natur, Kultur, Gesellschaft, Geschichte.
Das derzeitig verfügbare, im OECD-Programm „Measuring Social Capital“ entwickelte Instrumentarium zur Messung und Evaluierung von Sozialkapital (und dessen Ursachen und Wirkungen) besteht aus
	Fragebögen und Selbst-Beurteilungen,
	statistischen Merkmalen (Krankenstände, Fluktuation, Produktivität).
SOZIALKAPITAL – DIE FORMEL    

Was ist SK? SOZIALE KRAFT subjektiv-individuell und kollektiv - zwischen Menschen, Mensch und Gemeinschaft, zwischen Sozietäten

Woraus besteht SK?

TNTties+norms+trustBindungen-Normen-Vertrauen

Womit bindet SK?
Mikro-EbeneMeso-EbeneMakro-Ebene
Nahe PersonenOrganisationenSymbole
VerständnisRegeln/GesetzeEthik
VerwandtschaftMitgliedschaftGlauben/Metaphysik

Wer hat SK?

	Individuen als Subjekte			Sozietäten	Kulturen als Kollektiv

Wen verbindet SK?
   BB		bonding: die eigene Sozietät
		bridging: zu einer fremden Sozietät
		linking: Sozietäten gegenseitig

Wozu dient SK? emotionale Aktivierung
   FFF		Freude, Freundschaft, Flow-Erlebnis
   AAA		Ansporn, Anstrengung, Altruismus
   KKK		Konkurrenz, Kampf, Krieg

Warum Kapital?
	Finanzkapital			Humankapital			Sozialkapital

Geld Wissen Bindung Investition Innovation Kooperation Reichtum Kultur Geborgenheit Wachstum Lebensqualität Frieden Markt Bildung Demokratie Plutokratie Elitismus Populismus

Wohin geht der Trend?
	Zyklus		Krise-Innovation-Aufschwung-Hybris-Krise

SOZIALKAPITAL - DAS SYSTEM-MODELL    

Soziale Systeme, die über die naturhaften Sozialbeziehungen hinausgehen, funktionieren aufgrund ihrer Ordnungen, die sich historisch und organisch entwickelt haben. Soziale Ordnung besteht in

  • Bindungen (Beziehungsnetzen) mit ihren Machthierarchien,
  • Normen mit ihren Belohnungen und Strafen (positiven-negativen Sanktionen),
  und beruht auf
  • Vertrauen in die allgemeine Gültigkeit dieser Werte, Sitten, Regeln und Kontrakte.
Das Versagen sozialer Ordnungen lässt die Sozietät kollabieren und abstürzen in die menschliche Eiseskälte von Vereinsamung und sozialer Ausschließung, in Kriminalität und Chaos, in Misstrauen, Egoismus und Hass.

Der einander bestärkende Bestand an Bindungen, Normen und Vertrauen ist das Sozialkapital einer Gesellschaft. Je enger verbunden in ihren Aktivitäten, je fester und reibungsloser zusammengehalten durch ihre Normen und je sicherer im Vertrauen, umso mehr bindendes Sozialkapital hat eine Sozietät. Und umso stärker werden ihre Wachstumskräfte sein.

Doch für den dauerhaften Erfolg eines sozialen Systems kommt es nicht nur auf die Maximierung der Bindungskraft und Wachstumsdynamik an, sondern ebenso auf die Minimierung der Hemmfaktoren. Alle Hemmfaktoren lassen sich im Wesentlichen auf zwei unausweichliche Begleiterscheinungen jeder Dynamik zurückführen: 1. Widerstand, Ermüdung und Energieverlust durch Reibung, Abnützung, Bedürfnissättigung bis zum Überdruss (Fatigue); 2. Erschöpfung von Ressourcen und Reserven, Zusammenbruch, Disruption (Disruption).

Überwiegen die Abnützungs-Faktoren, so erlahmt der Aufschwung langsam und geht fast unmerklich in eine „Implosion“ über (wohlvertraut im Niedergang großer Kulturen und traditioneller Firmen). Erreicht ein System das Stadium der „Exhaustion“ (Erschöpfung), so bricht es (oft in einem Pyrrhus-Sieg) zusammen oder explodiert in einer Revolution.

Es liegt auf der Hand, dass eine soziale Ordnung, welche glücklicher und gesünder macht und weniger durch Leiden und Stress strapaziert, aber auch nicht zu sehr mit künstlichen Beglückungen süchtig macht und übersättigt, weniger Überdruss (Erschöpfung) und Widerstand hervorruft. Und friedliche Sozietäten, die eher langsam wachsen und weder ihre Nahrungsgrundlagen noch die Geduld ihrer Bürger aufzehren, entgehen auch eher der Erschöpfung ihrer Kräfte.

„Schadstoff-freies“, „beglückendes“ Sozialkapital, mit einem hohen Gehalt an Gerechtigkeit und humanitärer Ethik, fördert sicherlich die Effizienz einer Sozietät besser - wenn genügend davon da ist. Wird eine schlechte, „hemmende“ Ordnung nur abgeschafft und stürzt dabei die Gesellschaft in ein Vakuum an Sozialkapital, so dass die Gemeinschaft zerfällt, so mündet das auch in einer Katastrophe. Die Geschichte vieler Revolutionen und überstürzter Reformen bezeugt das.

Doch zeigt sich, dass nur selten eine Gesellschaft ihr Sozialkapital völlig verliert. Das kommt nur vor, wenn sie von einer äußeren Übermacht völlig überwältigt und demoralisiert wird (wie es einfacheren vormodernen Gesellschaften immer wieder im Kontakt mit modernen „Kolonisatoren“ zugestoßen ist). Kleinere und einfachere soziale Systeme, wie Firmen, Vereine, politische Parteien werden jedoch leichter vom völligen Verlust ihres Sozialkapitals betroffen und lösen sich dann auf oder gehen in stärkeren Konkurrenz-Sozietäten auf.

Eine normale Reaktion einer Gesellschaft, die unter dem inneren Druck ihrer Hemmfaktoren und dem äußeren Druck des Wettbewerbs zerbröckelt und zusammenbricht, ist der Rückzug auf ein primitiveres Ordnungssystem, meist aus der eigenen historischen Tradition.

Wo der demokratische Rechtsstaat versagt, rettet der „Polizeistaat“ die Ordnung. Wo sich die zentrale Ordnungsmacht eines Polizeistaats nicht mehr durchsetzt, hält die „Mafia“ ihre Schutzmacht-Ordnung ohne großen Aufwand an Justiz und Gefängnissen. Versagt das Mafia-System, so fällt die Gesellschaft zurück auf das einfache Ordnungssystem persönlicher Loyalität in Cliquen, Banden und Familien, die sich und die ihren brutal verteidigen und rächen.

Auf ihrem Niveau sind alle diese Ordnungssysteme funktional - und umso effizienter, je höher ihr Sozialkapital ist, je stärker ihr Zusammenhalt und das Vertrauen sowie die Furcht ihrer „Klienten“. Die systemische Verwandtschaft solcher „Rückfälle“ moderner Gesellschaften (oder innerhalb dieser) mit historischen Entwicklungsstufen leuchtet ein.

Der Polizeistaat mit seinem Überwachungssystem hat seine Vorfahren in den Diktaturen und Tyrannenherrschaften der Geschichte. Die Mafia ähnelt den Feudal-Ordnungen mit ihren Kriegsherren und Leibeigenen. Das moderne Bandenwesen samt Schwarzarbeit, Menschenhandel und Drogenkartellen hat die selben brutalen Ordnungen wie Blutrache und Sklaverei.

Es sei die Hypothese gewagt, dass die weniger komplexen, einer früheren Entwicklungsstufe entsprechenden Sozialordnungen kleinere Bindungsnetze aufweisen, die stärker biologisch-psychologisch begründet sind und stärker auf ursprüngliche Reaktionsmuster von Lust und Unlust, Aggression und Angst sowie auf direktes persönliches Vertrauen aufbauen. Je komplexer eine Sozietät, umso artifizieller und technologischer ist die Organisation ihrer Bindungsnetze, umso rationaler und „legistischer“ sind ihre Normen, umso abstrakter und umso mehr von der direkten persönlichen Erfahrung gelöst - also durch „Medien“ vermittelt - sind ihre Vertrauens-Verhältnisse. Man könnte diese Mehr-weniger-Dimension von Sozialkapital mit der Etikette „traditionell-modern“ oder „einfach-komplex“ kennzeichnen.

Diese Achse im mehrdimensionalen Erklärungsraum ist jedoch nicht gleichzusetzen mit „alte-neu“. Im Zyklus kann eine Gesellschaft durchaus zu einer einfacheren Ordnung (wie etwa vom „komplexen Rechtsstaat“ zu einer „selbstgesteuerten Bürgergesellschaft) „absteigen“, um dem Chaos zu entgehen und zu einem innovativen Neu-Start anzusetzen. In der Regeneration nach dem Zusammenbruch kann eine neue Ordnung mit noch nie da gewesenen Formen von Sozialkapital durchaus weniger komplex, simpler und weniger „modern“ sein als die alte untergegangene Ordnung (der Übergang von der römischen imperialen Spätantike zum christlichen feudalen Mittelalter wäre ein Beispiel im Großen dafür).

„Neu“ ist eine soziale Ordnung, wenn sie gegenüber der vorher bestehenden Normierung Innovationen (Mutationen) enthält, welche Wege zu mehr Rationalität (Selbst-Reflektivität und Selbststeuerung mit Realitätsprüfung) und mehr Komplexität („Multikulturalität“ nach innen, „Offenheit“ nach außen, „Flexibilität“ in den Funktionen) enthält. „Neu“ ist aber auch Sozialkapital, das auf Erfindungen und Entdeckungen (Mutanten) beruht, die hochgradig irrationale Elemente beinhalten und die Gesellschaft zur Selbstschädigung und Selbstzerstörung verführen. Dann überwiegen nach kurzem stürmischen Wachstum die inneren Hemmfaktoren oder die Abwehr von außen. Der Nationalsozialismus wäre ein historisches Exempel für ein „irrational-innovatives“, „neu-traditionelles“ System einer „simplizistischen“ Modernisierung. Heute deuten viele Tendenzen einer „maschinen-geordneten Konsumgesellschaft“, „irrationalen Marktsteuerung“ und „blinden Globalisierung“ auf Negativ-Mutationen.

Aus diesen analytischen Überlegungen wird deutlich, dass eine zwischen wesentlichen Aspekten nicht unterscheidende „Messung“ von Sozialkapital wertlos, wenn nicht irreführend wäre. Eine sinnvolle gesellschaftliche „Steuerung“ muss bemüht sein, gleichzeitig den Abbau von altem Sozialkapital so weit zu bremsen, dass sich die Erneuerung ohne Verlust an sozialem Zusammenhalt ausbreiten kann - und dabei zu „nachhaltigen“ komplexen Formen von Sozialkapital führt. Die Harmonisierung zwischen Wachstumsförderung und Prävention systemgefährdender Hemmfaktoren erfordert ein Ausbalancieren und wechselndes Gasgeben und Bremsen, ja nach der Situation. Die Tendenzen im Sozialkapital könnten dabei wertvolle Orientierungshilfe sein

SOZIALKAPITAL - MINIMAL-DIMENSIONEN    

Für eine Erfassung des individuellen und kollektiven Sozialkapitals in unterschiedlichen Sozietäten (Gemeinschaften) mit minimalem Aufwand ist die Einbeziehung der wesentlichen theoretischen Dimensionen in stärkster Konzentration mit praktikablen Indikatoren anzustreben. Ein Set von Fragestellungen mit Anmerkungen sei hiefür exemplarisch gegeben.

1. Mikro-Ebene

1.1 Persönliche Nahebeziehungen mit reziproker Offenheit in privaten Leiden und Freuden und mit gegenseitiger Bereitschaft zu allfälliger Hilfe: - Umfang des Personenkreises gesamt/in der Sozietät/in „Bridging-Relationen“.

1.2 Persönliche Unterstützungsbeziehungen („support“) mit potentiellem Einsatz von starken Ressourcen (Finanzierung, Förderung, Vermittlung, Empfehlung, „Protektion“): - aktiv gebend/passiv erhaltend.

1.3 Umfang des weiteren persönlichen Relationenkreises (Gesprächskreis: - gesamt/in der Sozietät/in relevanten Beziehungen.

Diese Beziehungen engen Vertrauens und hoher Verlässlichkeit zu gut bekannten Personen sind für ein ausgeglichenes Gefühlsleben unerlässlich und schützen vor langfristigen psychischen und psychosomatischen Schäden nach traumatischen Erlebnissen und Stress. Es gibt einen „gesunden“ Normalbereich für den Umfang von Primärbeziehungen. Fehlen die Nahebeziehungen oder sind sie zu sehr auf Einzelbeziehungen veengt, so besteht das Risiko der Isolation, Vereinsamung und des Autismus. Mit einer zu hohen Zahl an Vertrauensverhältnissen wiederum wird die soziale Kapazität überfordert und die Qualität der Nahebeziehungen beeinträchtigt - es wächst dann der soziale Stress.

Asymmetrische Unterstützungsbeziehungen, die über rein professionelle Rollen (Arzt, Therapeut, Lehrer, Vorgesetzter; Priester, Guru, Interessenvertreter) hinausgehen, aktiv und passiv, wirken persönlichkeitsstärkend, abgesehen von ihrem direkten Nutzen. Sie können aber symmetrisch-reziproke Beziehungen (mit empfundener „Gleichwertigkeit“) nicht ganz ersetzen. Theoretisch können sie auch der Meso-Ebene des Sozialkapitals zugerechnet werden.

Nahebeziehungen fallen extravierten Charakteren leichter als Introvertierten. Nahebeziehungen sind vielfach ambivalent, mit Konflikten verbunden - als Hassliebe, Eifersucht, Angstwut, insbesondere wo es um Erotik und Macht geht. Die Sozialkapital-Messung konzentriert sich auf die positive Komponente.

Die Wirkung von Sozialkapital auf der Mikro-Ebene ist individuell vor allem in Hinblick auf Befindlichkeit, psychische Entwicklung und Motivation bedeutsam. Nahebeziehungen wirken kollektiv auf Normen und „Glaubenssysteme“ nur in geschlossenen Gemeinschaften (wie Sekten, Internaten) und wenn Sozialkapital der höheren Ebene fehlt und persönliche Freundschaften und Beziehungen die Normen (Ethik und Moral) der größeren Einheit ersetzen (oder verdrängen).

2. Meso-Ebene 2.1 Aktive Mitgliedschaft in Vereinen/Organisationen für gemeinsame Selbstentfaltung in Sport, Kultur, Geselligkeit - Zeitaufwand und Frequenz gesamt/in der ‘Sozietät; 2.2 Mitgliedschaft in Organisationen zur Interessenvertretung und öffentlichen (politischen) Mitsprache - Anzahl Mitgliedschaften; 2.3 Teilnahme an Gruppenaktionen politischer, gesellschaftlicher Natur (Demos, Bürgerinitiativen, Spenden) - Frequenz, Stärke des Engagements (Aufwand Zeit/Geld); 2.4 ehrenamtliches Engagement in Arbeit, Beruf, Ausbildung für sich oder über Pflichtleistung hinaus - Zeitaufwand gesamt/in der Sozietät.

Die Beteiligung an kollektiven Aktivitäten und organisierter „Bürgerbeteiligung“ („civic culture“) wird als zentraler Part von Sozialkapital im gesellschaftlichen Sinn gesehen. Die persönlichen Bindungen und Beziehungen sind dabei weiter gestreut und „flacher“, im Kollektiv aber wirksamer. Individuell verstärkt die Meso-Ebene alle Effekte der Mikro-Ebene - und die Sinnfindung der Makro-Ebene.

Kennzeichnend für die Meso-Ebene ist, dass die Beziehungen, die Regelbeachtung und das Vertrauen nicht mehr an einzelne nahestehende Personen gebunden sind, sondern eine Gemeinschaft mit festen Strukturen (Statuten, Mitgliedbeiträgen, Funktionen, Pflichten, Entlohnungen, Ehrungen) betrifft – in der man aber noch viele Mitglieder persönlich kennt und wo man auch eigene Meinungen und Interessen einbringen kann. Man verbringt in solchen Gemeinschaften auch Zeit und tut etwas Interessantes - oder hat zumindest die Möglichkeit dazu. Die Beziehung ist noch konkret, wenn auch nicht so intensiv wie auf der Mikro-Ebene.

Der besondere Wert des Sozialkapitals der Meso-Ebene liegt in der gesammelten „Macht“ der größeren Einheit, der Gelegenheit zu Mitsprache und Mitbestimmung, also der autonomen Macht-Teilhabe ohne dem Untergehen in der anonymen Masse. Die Abgrenzung von der unpersönlichen Superstruktur der Makro-Ebene zählt: die Sektion gegenüber der Partei, der Betriebsrat gegenüber der Gewerkschaft, die Pfarre gegenüber der Kirche, die Schulklasse gegenüber dem Bildungssystem, die Landgemeinde gegenüber dem Staat.

Natürlich gibt es Übergänge und unscharfe Abgrenzungen. Was für den kontaktscheuen Einzelgänger schon eine Organisation (Meso-Ebene) ist - etwa für einen Schüler die Schulklasse und erst recht die Schule mit ihren Lehrern und der Schulleitung - , mag für den sozial Hochkompetenten - etwa einem Klassensprecher, der mit den meisten Mitschülern befreundet (oder verfeindet) ist und mit den Lehrern, dem Direktor und dem Schulwart auf Gesprächsfluss steht, eine wohlvertraute soziale Heimat (auf der Mikro-Ebene) sein.

Ebenso ist die Trennung zwischen Meso- und Makro-Ebene oft verschwommen. Doch im individuellen Erleben ist die Grenze klar: wo man in einem Verein oder einer Organisation nur mehr zahlendes Mitglied und bloßer Nutzer dieser Einrichtung ist - und weder regelmäßiges tätiges Engagement noch persönliche Kontakte hat - , gehört die Mitgliedschaft schon der Makro-Ebene von Sozialkapital an.

Auf der Meso-Ebene kommen die Kräfte des persönlichen Miteinander zusammen mit der Potenz der größeren Gemeinschaft zur Wirkung. Darum stärkt dieses Sozialkapital sowohl den einzelnen Menschen an Motivation, Wohlbefinden und Gesundheit als auch die Sozietät durch die größere Durchsetzungs-Effizienz der „geballten“ Gemeinschaft. Meso-Sozialkapital ist Medizin und Waffe zugleich.

3. Makro-Ebene 3.1 Identifikation mit symbolischen und spirituell überhöhten Gemeinschaften (Religion, Nation, Partei, Stand, Beruf; Land, Stadt) - und deren Symbolfiguren - als Grad des Zugehörigkeitsgefühls zu solchen Supersystemen; 3.2 Vertrauen in die symbolischen Gemeinschaften und deren Repräsentanten (Nation und Regierung, Kirche und Klerus, Demokratie und Parlament, Unternehmen und leitende Manager, Schulsystem und Schuldirektor); 3.3 Glauben an die Grundsätze, Lehren, Symbole und Rituale der „eigenen“ Gemeinschaft - und (tolerante) Distanz zu „fremden“ Symbolsystemen. Identifikation und Bindung, Normentreue und Vertrauen auf der Makro-Ebene kann jeweils am Verhalten (Wahlbeteiligung, Steuermoral, Beachtung der Gebote, Teilnahme an Ritualen) wie an Deklarationen subjektiver Gefühle (in Befragungen) gemessen werden - wobei jeweils Probleme der „Reliabilität (Ehrlichkeit)“ und „Validität (Bedeutsamkeit)“ bestehen.

Die sozialen Bindungskräfte der Makro-Ebene unterscheiden sich im Wesen von denen der Meso- und Mikro-Ebene. Sie gewähren, weil sie abstrakt sind, mehr Hoffnung und von der Realität abgehobene Gefühle (Begeisterung, Mystik, Ergriffenheit) als persönliche Zuneigung und Verbundenheit - zu deren Natur auch Differenzen gehören. Der Trost der Frömmigkeit, die Ekstase politischer Bewegungen, die Opferbereitschaft im „gerechten“ Krieg können Höhen erreichen, die für brave Berufstreue oder eifrige Vereinskameradschaft unerreichbar sind. Nur im anderen Extrem der Sozialität, in den instinktiven Affekten der Verliebtheit oder der Mutterliebe, im spontanen Altruismus, ist ein ebenso so starker Affekt angelegt - in einer konkreten Beziehung (auf der Mikro-Ebene).

Allerdings sind die symbolischen Bindungen starker Emotionalität auch sehr unsicher. Sie beruhen ja auf einer abstrakten Zuschreibung, die - wo sie nicht durch persönliche Bestärkung über Priester, Funktionäre, Autoritätspersonen gestützt ist, auch rasch verloren gehen kann. Darum versinken gerade jene Sozialsysteme, die sich allein auf die Kraft ihrer Symbole stützen und die Nahebeziehungen ausschalten wollen, so oft in Häretiker-Verfolgung und Hexenjagd.

Die symbolischen Bindungen sind, wegen ihrer starken Wirkung und ihrer „Biegsamkeit“ primäres Objekt von Propaganda und Bekehrungen, von Werbung und massenmedialer Beeinflussung und Manipulation. Die Grenzziehung zwischen dem Sozialkapital der Makro-Ebene und den kollektiven Konsum-Mustern und Lebensstil-Gemeinsamkeiten ist oft unklar. Zum Sozialkapital gehört jedenfalls nur das an gemeinsamen Werten und Gewohnheiten, was auch als konstitutiv für die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft empfunden wird. Da kann eine Nationalspeise bindender sein als die Bundeshymne und ein Sportstar symbolkräftiger als das offizielle Staatsoberhaupt.

Besonders bedeutsam ist auf der Makro-Ebene die Bewältigung der Spannung zwischen der Bindung an die „eigene“ Sozietät und ihr Symbolsystem („Bonding“) und der Anerkennung und Toleranz für relevante „fremde“ Gemeinschaften („Bridging“).

Für alle drei Ebenen gilt: die Bindungskräfte, die sich als Sozialkapital verstehen lassen, spielen so viele Farben und Muster, dass sie nur in starker Abstraktion und Simplifikation fassbar und messbar gemacht werden können.

Die Messung von „Sozialkapital“ erfolgt auch mittels statistischer Kennzahlen (Familienstrukturen, Mitgliedschaften, kultureller und politischer Partizipation, Gesundheit, Sicherheit vor Kriminalität, Vandalismus und Aggressivität) und zum Teil in Umfragen der Sozialforschung zu politischen und wirtschaftlichen Themen (Vertrauen in Institutionen, Bürgerbeteiligung usw.). Es liegen nun Erfahrungen mit solchen Messungen und Erhebungen aus verschiedenen sozialen Bereichen und Ländern vor.

Die Sozialkapital-Bilanz einer kleineren Sozietät schließt folglich die Gemeinschaftsbindung innerhalb („lokal“), im gut erreichbaren Umgebungs-Bereich („regional“) und in größerer Entfernung oder auch nur „virtuell“ über Kommunikationstechniken („distant“) ein.

Von Belang ist auch die Zusammensetzung der Mitglieder einer Sozietät nach Kultur, Alter, Bildung und Berufsstatus - und Herkunft. Damit korrelieren in hohem Maß Persönlichkeit und soziale Kompetenz - und damit das soziale Klima in der Sozietät.


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