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Zehn Thesen zur Wissenschaftspolitik

Peter Fleissner, Wien

Caveat:

Die folgenden Ausführungen wurden aus der Sicht eines Einzelwissenschaftlers geschrieben, dem – wie allen anderen Menschen auch – nur seine Perspektive möglich ist, allerdings im Bewusstsein, dass seine Perspektive nur eine unter vielen und nicht unbedingt das non plus ultra darstellt. Sie sind daher notwendigerweise Stückwerk und harren der Ergänzung, Erweiterung, Verbesserung durch andere.

Welche Thematiken sollte sich eine Politik auf ihre Fahnen schreiben, die sich für das gesellschaftliche Ganze verantwortlich hält und ihre Motivation aus der Kritik an den negativen Zügen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustände und Tendenzen ableitet? Dass als Label für diese Politik mit „Links“ gewählt wurde, halte ich für eine Einschränkung, die dazu führen kann, dass diese Position nicht aus der linken Ecke herauskommt.

These 1:
Die meisten traditionellen Wissenschaften sind an der Vergangenheit und eurozentrisch ausgerichtet und versuchen, Bestehendes zu systematisieren und seine inneren Zusammenhänge herauszuarbeiten. Heute wird es aber immer wichtiger, sich angesichts der wachsenden Krisensymptome mit den gegenwärtigen globalen und lokalen Trends und der Zukunft zu beschäftigen.

These 2:
Die Krisensymptome sind auf ihre Genese und die dahinterliegenden Mechanismen zu untersuchen und durch die Herausarbeitung von Alternativen zu gegenwärtigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Organisationsformen zu kontrastieren (z.B. Tobinsteuern, bedingungsloses Grundeinkommen, verbesserte soziale und informatorische Infrastrukturen, neue nachhaltige Lebensstile und Produktionsweisen, erneuerbare Energiequellen, Förderung von Inklusion der Ausgegrenzten und Diskriminierten, Überalterung der Bevölkerung etc).

Frühwarnsysteme für mögliche gesellschaftliche Krisen und Kontrollinstitutionen (Einschränkung der Spekulation, individuelle Reichtumsbeschränkung) sind einzurichten.

These 3:
Bildung und Wissenschaften müssen die Veränderungen im gesellschaftlichen Kontext wahrnehmen, Mängellagen identifizieren und kommunizieren und entsprechende Methoden und organisatorische Voraussetzungen zu ihrer Begleitung konzipieren. Durch den raschen technologischen (ICT, Bio, Nano) und Wertewandel veralten traditionelle Kenntnisse rasch.

Daraus ergibt sich ein weites Feld auch für die Erwachsenenbildung (siehe http://peter.fleissner.org/Transform/Erwachsenenbildung.pdf) innerhalb und außerhalb der Betriebsstätten. Die Universität der Zukunft könnte dadurch jenseits vom Marktgehorsam neue Relevanz gewinnen.

These 4:
Der existierenden Tendenz der Spezialisierung der Einzelwissenschaften ist durch Stärkung von Disziplinen der Integration und des Überblicks entgegenzuwirken. Dafür bieten sich z.B. an: Materialistische und präzisierte dialektische Philosophie, Widerspiegelungstheorie als Erkenntnistheorie, dialektische Systemtheorie, Konzepte einer Unified Science, Simulation als weitere Methode zum Erkenntnisgewinn neben dem Experiment usw. Holistische und systemische Ansätze sollen partikuläre Zugänge ergänzen.

These 5:
Wissenschaftliches Denken darf nicht auf der Ebene des Positivismus stehenbleiben, sondern muss mit Wertfragen und ethischen Dimensionen zusammengeführt werden. Wissenschaft muss menschlich und emanzipatorisch werden, an Friedenserhaltung, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit ausgerichtet sein und nicht bloß an wirtschaftlichen Partikulärinteressen, was sich auch im Bildungswesen niederschlagen soll. Es wäre zu untersuchen, ob und wie weit Persönlichkeitsbildung (Fähigkeiten zur Kooperation, Selbstkritik, Empathie, Großzügigkeit, Selbstlosigkeit, Perspektivenwechsel, interkulturelle Erfahrungen etc.) im Zuge des Bildungswesens explizit vermittelt werden kann.

These 6:
Wissenschaftliche Grundhaltungen im obigen Sinn sollten in der Massenkultur stärker verankert und aufgewertet werden. Die Massenmedien und andere kulturbestimmende Institutionen und Veranstaltungen sind dabei schöpferisch zu nutzen und inhaltlich anzureichern.

These 7:
Das wissenschaftliche Bildungswesen muss in Richtung auf obige Grundlagen umgestaltet werden. Die Unterrichtsformen sollen adäquat neue Technologien berücksichtigen. Projektstudium, Kooperation und selbstorganisiertes Lernen (individuell oder in Gruppen) soll gefördert und das Ergebnis durch Zertifikate offiziell anerkannt werden. Lehrkräfte sollen immer mehr Coachfunktionen ausüben. Der Zugang zum Studium soll für weniger privilegierte bzw. diskriminierte Gruppen erleichtert werden.

These 8:
Soziale Experimente alternativer Arbeits- und Lebensformen auf freiwilliger Basis sollen nicht verhindert, sondern gefördert, durch Begleitforschung professionalisiert und in den Massenmedien verbreitet und zur Diskussion gestellt werden. Beispiele sind zahlreich: Studienzirkel, regionale Tauschkreise, OpenSource Bewegungen, creative commons, targeted intelligence networks, Kommunen aller Art etc.

These 9:
Wissenschaftliche Texte und Ergebnisse, die mit staatlichen Mitteln erzielt wurden, sollen der Öffentlichkeit frei zur Verfügung gestellt werden. Um dies zu gewährleisten, sind von öffentlich finanzierten Universitäten/Hochschulen Informationspools einzurichten, die über das Internet kostenlos zugänglich sind. Private Bildungseinrichtungen können und sollen sich daran beteiligen.

These 10:
Institutionen zur Analyse der Technikentwicklung und Technikbewertung sollen eingerichtet werden, die ein umfassendes Bild der Implikationen vor allem neuer Technologien und ihrer gesellschaftlichen Anwendungsmöglichkeiten und Folgen herauszuarbeiten erlauben. Ihren Ergebnissen muss in den Massenmedien breiter Raum eingeräumt werden, um Bedürfnisse spezifischer Gruppen zu identifizieren und – wenn technisch machbar – zu befriedigen. Öffentliche Diskurse sollen initiiert und unterstützt werden.