Hans Gert Graebe / Leipziger Gespraeche / 2019-07-12 |
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Die Reihe der Interdisziplinären Gespräche am Institut für Informatik wird unterstützt vom Institut für angewandte Informatik (InfAI), von LIFIS - Leibniz-Institut für Interdisziplinäre Studien, dem MINT-Netzwerk Leipzig sowie der Research Academy Leipzig. Mit einem Impulsbeitrag von Dr. Nadine Schumann, Philosophie, Uni Leipzig:
Die Wissenschaftspolitik des 20. Jahrhunderts ist durch zwei wichtige Tendenzen geprägt,
Mit dem digitalen Wandel und dem Aufkommen einer "Digital Humanities" geraten diese Animositäten und Befindlichkeiten neu auf den Prüfstand. Die unmittelbaren Akteure scheinen hier einen gewissen Handlungsbedarf zu sehen, für die etwas ferneren – die etwa im Hoch-N-Netzwerk Hochschulen mit Bundesmitteln auf den Pfad der Nachhaltigkeit führen wollen – scheint ein solches Thema nicht einmal als Randthema zu existieren. Grund genug, für unser Interdisziplinäres Gespräch die Frage aufzuwerfen, wie eine nachhaltige Hochschulentwicklung im Gestrüpp dieser Schismen, Animositäten und Befindlichkeiten überhaupt Gestalt annehmen kann. Literatur:
Dr. Reinhard Messerschmidt (WBGU Berlin) hat aus terminlichen Gründen leider kurzfristig absagen müssen. Dr. Andreas Bischof (Medieninformatik, TU Chemnitz) ist leider erkrankt.
Thema der Diskussion war ein weiteres Mal die Frage, welchen Beitrag Wissenschaft für die praktische Realisierung von Nachhaltigkeitszielen leisten kann und muss, was für eine Art von Wissenschaft dafür erforderlich ist und in welchem Zustand sich die Wissenschaft von heute im Vergleich zu derartigen Herausforderungen befindet. Ähnliche Fragen hatten wir im Rohrbacher Kreis bereits vor 10 Jahren auf der Basis von Peter Fleissners "10 Thesen zur Wissenschaftspolitik" sehr kontrovers diskutiert und dabei insbesondere die Möglichkeiten und Grenzen äußerer, "politischer" Einflussnahme auf diese Konditionierungsprozesse ausgelotet. Ausgangspunkt unserer Diskussion war auch diesmal das zu beobachtende weitere Fortschreiten des Zerfalls von Wissenschaft in immer engere Einzeldisziplinen, was durch eine entsprechend organisierte Forschungsförderung eher noch bestärkt wird. Damit rückt eine hohe Instrumentalität von Forschung und Wissenschaft mit konkreter Anwendungsorientierung weiter in den Vordergrund gegenüber komplexeren Reflexionsstrukturen, in denen sich die komplexen Zusammenhänge nachhaltigen Agierens überhaupt erst sprachlich fassen ließen. Den wenigen generalistisch ausgerichteten Forschungsinstitutionen kommt da nicht mehr als eine Alibifunktion zu. Dieser Ausdifferenzierungsprozess, in welchem das Auseinanderfallen der alten Philosophischen Fakultäten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine wichtige Wegmarke bildet, stellte Nadine Schumann in ihrem Impulsbeitrag am Beispiel der Psychologie als einen Prozess des inneren Zerreißens ehemals produktiver Zusammenhänge dar, als Prozess der Abgrenzung zwischen quantitativen und qualitativen Methoden. Jenes in diesem Fall innerdisziplinäre Schisma habe inzwischen zu einer weitgehenden Marginalisierung qualitativer Zugänge in dieser Fachwissenschaft sowohl in der Ausbildung als auch in der Forschung geführt. Ob damit das Schisma der allgemeinen Wissenschaftslandschaft in Science und Humanities – um diese englischen Begriffe in Ermangelung genauer deutscher Pendants zu bemühen – hinreichend präzise beschrieben ist, wurde auch in der Diskussion nicht weiter thematisiert. Wissenschaftskulturen werden in anderen Kontexten in eher pejorativem Gebrauch des Begriffs als "soft sciences" von den "hard sciences" geschieden, wobei manche Vertreter jener im Allgemeinen als "soft science" gescholtenen Fächerkulturen gern ihren Charakter als "hard science in der soft science" betonen, wenn dort quantitative Methoden und damit der Gebrauch von Mathematik als "lingua franca der Wissenschaft" (1) in den Vordergrund rücken. Beide Seiten demonstrieren mit dem Ausbau entsprechender Verteidigungsstellungen allerdings vor allem die eigene methodische Enge. Die Forderung nach kritischer Wissenschaft als Aufbrechen einer solchen Enge war denn auch ein wichtiges Resultat zum Ende unserer Diskussion hin. Nachhaltigkeit ist eine interessante Größe, wenn es im Ruf nach mehr "kritischer Wissenschaft" das "wozu?" zu beantworten gilt, auch wenn Nikos Psarros zu recht darauf hinwies, dass sich dieser Begriff einer einfachen Bedeutungsbestimmung ähnlich entziehe wie der Begriff der "Glückseligkeit". Allerdings ergibt sich die Bedeutung von Begriffen oft aus deren praktischem Gebrauch. In diesem Sinne hat sich der Nachhaltigkeitsbegriff in den letzten 20 Jahren als politischer Begriff etabliert und entwickelt. Mit den von der UNO verabschiedeten 17 Sustainable Development Goals werden dabei inzwischen klar Zukunftsfragen unter dem Aspekt der Menschenwürde in den Mittelpunkt gerückt. Dass es dabei mit Art. 1 GG zugleich um fundamentale Fragen unserer bundesdeutschen staatlichen Verfasstheit geht, ist sicher kein Zufall. Kritische Wissenschaft wird damit zur staatsbürgerlichen Verpflichtung – vor allem auch jener, die Wissenschaft als Beruf betreiben dürfen, betreiben können und betreiben – bis hin zum Recht auf Widerstand nach Art. 20 GG. Es ist allerdings die Frage, ob das "sapere aude!" der Aufklärung in diesem Kontext allein auf den "Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit, dem Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen" reduziert werden kann und nicht auch strukturelle und institutionelle Voraussetzungen für kritische Wissenschaft erforderlich sind, die gemeinschaftliches praktisches Handeln erfordern. Aufklärung als gemeinschaftliches strukturelles Zukunftsprojekt wird damit mehr denn je Voraussetzung für jegliche praktisch wirksame Nachhaltigkeit. Hans-Gert Gräbe, 14.07.2019 (1) Interessanterweise meint Google, dass Englisch die "lingua franca der Wissenschaft" sei.
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