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Interview Mit Reto Stauss


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Im Gespräch: Franz Nahrada

[ Gespräche ] by Reto Stauss @ 21.02.2007 08:51 CEST

Franz Nahrada, Vordenker, Bewegter und Beweger in Sachen Globale Dörfer, hat aus meinen simplen Fragen ein Feuerwerk von Anregungen gemacht. Viel Hirnfutter, unbedingt lesen!

Bitte erklären Sie kurz, wer Sie sind und was Sie machen.

Franz Nahrada: Ich bin in Wien aufgewachsen in einer Gastwirts- und Hoteliersfamilie am Rand der Stadt, in einer Zeit in der eine alte gesellschaftliche Ordnung ihre Legitimtät verlor und zugleich die Zukunft attraktiv und grenzenlos schien. Mehr als alles andere haben mich mehrere Kubikmeter Science Fiction Literatur verschiedenster Provenienz geprägt, die ich als Kind verschlang.

Mein Thema war schon früh, diese Möglichkeiten kennenzulernen und auszuloten, und ich habe dazu auch viel Freiheit bekommen. Ich erkundete die Welt derer, die sich Veränderung der Gesellschaft aufs Panier geschrieben haben, ich beschäftigte mich mit verschiedensten Wissenschaften, studierte Soziologie, Philosophie und Politikwissenschaften, aber auch Psychologie, Ökonomie und die Welt der Kunst und Literatur.

Ich lernte mich selber durch meine Vorlieben kennen, die mich vom Zentrum der Gesellschaft zu den Rändern trieben. Am wohlsten fühlte ich mich in griechischen Bergdörfern und alten Klöstern, auf Bergen und am Meer, weit weg von der Raffinesse des Urbanen. Dort begriff ich daß sich unsere Welt in einem ungeheuren Prozeß der Zerstörung und der Erosion befindet, der wie ein Staubsauger den Peripherien alles entzieht was sie an Reichtum haben, um es in wenigen Zentren des Reichtums anzuhäufen. Das kam zu meiner Ur-Erfahrung dazu, daß menschliches Denken und Handeln nicht sinnvoll und frei ist, sondern weitgehend reakttiv und unüberlegt passiert.

Dann passierte eine schrittweise Begegnung mit dem elektronischen Medium, und mich faszinierte daran von Anfang an die Chance der Ubiquität: überall zugleich Zugang haben zu Wissen und Erfahrung. Ich arbeitete bald für Apple Computer an der Unterstützung von benutzergenerierten Entwickungen mit HyperCard, lernte die USA und ihre komplett andere Kultur kennen und wurde unversehens auch mit der Alternativbewegung daselbst konfrontiert.

Propaganda der positiven Tat, des Beispiels, der kreativen Idee - ob in der Wüstenstadt Arcosanti oder im Labor der neuen Alchemisten. Dieser gelebte utopische Geist faszinierte mich, und ich sehe mich als jemanden, der ihn mit seinem Gegenteil, dem bedächtigen, zweifelnden, weisen Schatz der kulturellen Erfahrung Europas zusammenzubringen versucht. Ich habe dazu ein "Labor" gegründet, aber kein chemisches, sondern so etwas wie ein soziales Labor, in dem ich mit verschiedensten Menschen an den Ingredienzien einer neuen Lebensform arbeite: unabhängig, an den Peripherien, und doch vernetzt und in einem unglaublichen Ausmaß kooperierend. Sozusagen auf der Open Source des gesammelten Menschheitsgeistes basierend.

Ansonsten bin ich Mitbesitzer und Geschäftsführer des Hotels Karolinenhof in Wien, war Mitveranstalter der Wiener Oekonux-Konferenz und entwickle gerade ein Projekt vernetzt kooperierender Bildungseinrichtungen auf der Basis von Breitband - Internet. Ich denke manchmal daß ich lieber Projekte anfange als sie zu Ende zu bringen, das ist meine große Schwäche, sonst wäre ich nicht fünfundvierzigtausendmal in Google zu finden....

Nadine Strittmatter, das bekannteste Schweizer Model, beschreibt in einem Interview (leider nicht kostenlos lesbar) in der Weltwoche 03/07 die Modewelt als globales Dorf: eine überschaubare Anzahl Leute mit gleichen Interessen, welche sich überall auf der Welt wieder treffen. Ist das ein globales Dorf nach Ihrem Verständnis?

Franz Nahrada: Das hat was. So haben manche diesen klingenden Begriff uminterpretiert, den McLuhan zunächst als brutale Zumutung an unsere Sinneswahrnehmung verstand. Ich denke, daß dieser Zwischen-Begriff (auch schon und wesentlich nur in der Vielzahl als "globale Dörfer" denkbar) rettbar ist, obwohl gerade der Modewelt ein Hauch von Elitärem und Nichtwirklichem anhaftet. In der Tat führt das Internet mehr denn je Menschen mit gleichen Interessen zusammen (und isoliert dadurch auch wiederum die Strata voneinander).

Aber das ist vielleicht auch der Anlaß, Interessen zu bündeln und wirksam zu machen. Wirksam und real heißt für mich, sie in Raum und Zeit zu materieller Realität zu machen. Die Hauptwirkung der Medien sehe ich darin, daß sie dazu beitragen, daß kollektive Vorstellungen heranreifen, sich halten oder verfallen, von denen einige wirklich sowas wie kulturbildend wirken. Und hier setzt eben mein Begriff von Globalen Dörfern ein: Kulturelle Gemeinschaften, die sich dann auch an Orten zusammenfinden und den Reichtum an Vorstellungen in eine reiche räumliche Realität übersetzen.

Um es noch deutlicher zu sagen: die Globalen Dörfer erster Ordnung (die virtuellen kulturellen communities) werden sich in die Globalen Dörfer zweiter Ordnung (die physisch-räumlich geformten Lebenswelten und Siedlungsformen) transferieren. Ich sehe darin eine spannende Entwicklung. Unlängst war ich in einem Dorf im Niederösterreichischen Waldviertel - es heißt Neupölla - , wo ein neues Siedlungsprojekt vorgestellt wurde. Eine schöne Verbindung von Moderne und Tradition.

Man hat dort auch ein paar junge Menschen gefragt, was sie eventuell bewegen könnte, wieder von der Stadt aufs Land zu ziehen. Die Antwort war sehr klar: es muß die Präsenz von Menschen sein, die so denken wie ich, so daß sie mein Leben wirklich bereichern und nicht begrenzen. Nicht im Sinn eines Ghettos, sondern im Sinn eines Gestaltungsraumes.

Wie sind Sie auf die globalen Dörfer gestossen? Ist das die Beobachtung einer Entwicklung der Gesellschaft oder eher eine theoretische Antwort an die nach Visionen suchende, sich veränderenden westlichen Zivilisation?

Nun, globale Dörfer in dem emphatischen Sinn wie ich sie eben beschrieben habe - die gibt es tatsächlich noch nicht. Aber was mich motiviert hat war die Vielfalt und Pealität der Bausteine, aus denen sie zusammengesetzt werden könnten. Eine für mich entscheidende Beobachtung war auch der rapide Paradigmenwechsel in der Technik und die rapiden Veränderungen in vielen anderen Lebensbereichen, die sich in den letzten Jahrzehnten abgespielt haben.

Ich habe die Geschichte schon oft erzählt: ich habe in Amerika die Perfektionierung des Computings und die Revolution des Interface Designs erlebt, während in Griechenland die Dörfer starben. Und vorher schien die Realität des Computings ebenso unveränderlich wie die Realität der Dörfer. Beim näheren Hinschauen drauf, wie diese "Revolution" passiert ist, habe ich gemerkt: es ging um das Neukombinieren von Bausteinen.

Es wird viel gejammert über die Erosion des ländlichen Raumes, den Verlust der Nähe, die ökologische Krise, die Globale Erwärmung, die mangelnde Nachhaltigkeit: für mich ist das eigentlich der Aufruf, eine neue "Elementarform" der Gesellschaft zu erfinden und sie lebensfähig zu machen. Es ist ja schon ein Witz, daß wir in der Wissenschaft darauf verpflichtet werden, "theoretische Antworten" zu geben - als ob das Wissen von vorneherein auf seine Praxisferne verpflichtet wäre!

Das hat mich übrigens auch sehr frühzeitig in Opposition zur Uni-Wissenschaft getrieben und mir eine akademische Karriere auf lange Zeit verbaut. Diese Gepflogenheiten wollte ich nicht mitmachen. In den USA habe ich eine andere Art zu Denken kennengelernt, die auch ihre Schwächen hat, aber die sozusagen ein Grundprinzip hat: The proof of the pudding is the eating.

Und so kam ich auf die Globalen Dörfer. Es geht um den "proof of the pudding", wenn Sie so wollen. Um ein Bild, das uns von der Konkretheit und Möglichkeit einer anderen Zukunft überzeugen kann, das real genug ist, das attraktiv genug ist, das sinnlich-vernünftig genug ist. Ich hab immer von der Macht der Bilder gesprochen, auch von der Rolle von Hollywood bei der Herausbidlung der modernen amerikanischen Vorstadt. Ein Imitationsverhalten, ein visuelles Überzeugt-werden und auch Haben-wollen. Sowas muß man für die Nachhaltigkeit tun.

Es denken ja viele in diese Richtung, ich habe auch mit viel Spass das Buch "bolo-bolo" gelesen, wo der Schweizer Autor P.M. eine sympathische Welt von Dörfern und Lebensgemeinschaften schildert ( hier mehr dazu, Anm. v. R. Stauss). Und dann hab ich mir gedacht: meine Welt ist das doch nicht ganz. Ich sehe keinen Grund darin, daß jeder Mensch sich mit 2000 Kalorien pro Tag beschränken muß, ich sehe auch nicht ein warum man Mobilität dermaßen beschränken muß ...

Also heisst es: noch mal ans Reissbrett, wenn man so will, und nachgedacht. Vielleicht verträgt die Welt doch ein wenig mehr von allem, wenn man es richtig systemisch designt. Und vielleicht ist so eine Welt der Diversität auch die attraktiveste Welt....

Es braucht Versuchsstationen!

Könnten Entwicklungsländer, welcher noch über funktionsfähigere ländliche Strukturen verfügen als das verstädterte Europa, aber heute bereits über moderne Technologien verfügen, solche Versuchsfelder sein?

Die Frage ist ewig aktuell, schon vor hundertdreißig Jahren wollte die Narodnikin Vera Sassulitsch von Karl Marx wissen, ob die russiche Dorfgemeinde, der MIR, direkt in eine neue Zivilisation münden könnte. Der hat in seinen Notizen und Überlegungen zur Beantwortung dieser Frage sehr lange gekaut.

Ich würde heute ebenso zögern: die Entwicklungsländer sind in viel stärkerem Ausmaß von äußeren Interessen abhängig, die ländlichen Strukturen sehr labil und immer in der Gefahr für Monokultur und Export rücksichtslos und gewaltsam in Beschlag genommen zu werden - abgesehen davon daß eben die herkömmlichen "indigenen" Strukturen ganz und gar nicht immer idyllisch sind.

Was das in Beschlag-Nehmen angeht: Gerade eben beginnt sich eine ungeheure "postpetrole" Begehrlichkeit in Sachen Pflanzenöl und Biodiesel zu entwickeln, die in diesen Ländern die Nahrungssouveränität ernsthaft zu gefährden droht und für die nationalen Eliten und die globalen Konzerne eine der wenigen dort überhaupt funktionierenden Bereicherungsquellen ist - im Unterschied zu den Menschen dort, die von diesem Standpunkt immer zu viel und störend sind.

Auf der anderen Seite könnte sich hier, an den Rändern, aus der Not heraus auch ein sehr viel illusionsloseres Programm des Heraushaltens aus den Produktionsschlachten des Weltmarktes entwickeln. In Südafrika ist die Arbeitslosenquote regional in Bereichen zwischen 50 und 80 Prozent: da gibt es nur die Alternative zwischen allgemeiner Korruption und Kriminalität und einer neuen Politik im Sinn generalisierter Selbstversorgung auf höherem Niveau.

Der Journalist und Buchautor Kai Ehlers meint, dass im Bereich der ehemaligen Sowjetunion und Mongolei diese Überlebensvariante ohnehin schon stillschweigend weiterpraktiziert wird. Ich sehe eine Chance in einem Zusammengehen von Dörfern und Regionen aus der ersten, zweiten und dritten Welt, in einem Entstehen hunderter, tausender kleiner Entwicklungspartnerschaften und Netzwerke, in einem weltweiten Programm für effektive und angepasste Technologien, wie etwa dem OLPC (One Laptop per Child) Projekt oder dem Simputer, die auch ohne Elektrizitätsnetz funktionieren.

Wenn wie im Open Source Softwarebereich Netzwerke des freien Wissensaustausches entstehen (siehe dazu auch die Initiative von Richard Nelson) und wenn gesehen wird, dass unsere Probleme und die der Entwicklungsländer sich schrittweise annähern, daher auch eine gemeinsame Antwort erfordern, dann beantworte ich diese Frage uneingeschränkt mit ja.

Wie passen globale Dörfer und die stärker werdende Bewegung zu mehr Nachhaltigkeit hin zusammen?

Ich denke, es ist nicht nachhaltig, wenn die Menschheit sich in Megastädten mit großem ökologischem Fußabdruck zusammenballt. Das Stadtsystem ist stofflich gesehen im großen und ganzen arteriosklerotisch, metastasierend, krank. Zugleich gehen unglaubliche Flächen an Kulturlandschaft verloren, veröden, versteppen, nicht zuletzt durch diesen Rückzug des Menschen in die Städte. Und gleichzeitig setzen wir das fossile CO2 der Karbonzeit frei!! Der Planet gerät aus den Fugen.

Wir müssen Nachhaltigkeit als eine planetare Politik verstehen und sehen, daß diese planetare Politik gerade die kleine nachhaltige, kreislaufförmige Lebensform fördern muß, die in ihrem Bereich für eine ausgeglichene Stoff- und Energiebilanz sorgt - dieses CO2 ist ja potentieller Pflanzenreichtum, der für den Menschen höchst sinnvolle Umgebung sein könnte. Zugleich müssen wir diese kleine "dörfliche" Lebensform so attraktiv machen, daß wir großstädtisch geprägten Menschen darin auch wohnen wollen.

Das ist sozusagen die Quadratur des Kreises, der sich die Bewegung der Globalen Dörfer verschrieben hat: Wir müssen in großem Maßstab wieder zu einer Synthese von Mensch und Landschaft zurückkehren, aber auf einem viel höheren technologischen Niveau und unter Berücksichtigung unserer Wissensvernetzung. Es gibt sehr spannende Ansätze einer postfossilen Chemie, einer hundertprozentig rückstandsfreien Kreislaufwirtschaft mit neuen Materialien, die voll rezyklierbar sind.

Ich denke, das ist ein wesentliches Element: dezentrale Produktion auf Basis erneuerbarer Komponenten. Dazu gehört auch freier Wissensaustausch zwischen den Dörfern. Dazu gehört, daß wir die ungeheure Gelegenheit zu kreativer Vielfalt und Einzigartigkeit wahrnehmen, die dadurch entsteht, dass wir diese Möglichkeiten an so vielen Orten jeweils eigenverantwortlich realisieren.

Was bedeutet für Sie der oft verwendete Begriff Nachhaltigkeit?

Zunächst: nicht die Wischi Waschi Bedeutung, die in Sprachdenkmälern wie "nachhaltiges Wachstum" und so weiter zum Ausdruck kommt! Natürlich hat man dem Begriff eine gewisse Inhaltsleere und Adaptabilität zu recht vorgeworfen und natürlich wohnt ihm eine Tendenz zu einem unreflektierten Fortschreiben von Strukturen inne, die ihrem Wesen nach eigentlich "nichtnachhaltig" sind, wenn er so einfach auf die Realität von allem und jedem "angewandt" wird.

Also der ursprüngliche Sinninhalt ist: wie kann ein Ökosystem, das in wirtschaftlicher Beziehung mit dem Menschen steht, sich selbst erhalten. Wie die Wikipedia weiss, wurde der Begriff 1713 von Hans Carl von Carlowitz geprägt als "Bewirtschaftungsweise eines Waldes, bei welchem immer nur so viel Holz entnommen wird wie nachwachsen kann, so dass der Wald nie zur Gänze abgeholzt wird, sondern sich immer wieder regenerieren kann".

Eigentlich ist diese Betrachtungsweise sehr aussagekräftig, denn sie verweist auf einen generellen kategorischen Imperativ im Umgang mit unseren natürlichen und vielleicht auch mit unseren kulturellen Lebensgrundlagen .... ein Imperativ der zumindest lebbarer ist als der alte ökolögische oder Naturschützerstandpunkt, nach dem jeder menschliche Eingriff in die Natur des Übels ist.

Demgegenüber betont die Nachhaltgkeit die ständige Dualität von Mensch und Natur, als ein Geben und Nehmen. Nicht der menschliche Eingriff in die Natur ist von übel, sondern der Umstand, daß der menschliche Eingriff in die Natur nicht auch das Ziel der Reproduktion oder gar Vermehrung unserer natürlichen Lebensgrundlagen hat. Diese muß aber nicht auf Kosten des Menschen gehen. Wenn es uns gelingt kompostierbare Plastikflaschen aus Pflanzenkunststoffen zu machen, dann ist die Aktivität des Menschen ein positiver Umweltfaktor!

In diesem Sinn kann ich aber jetzt auf die Frage der Nachhaltigkeit und der globalen Dörfer zurückkommen. Die Nachhaltigkeit fordert nicht wie die Ökologie ein bestimmtes "außermenschlich" festgelegtes Maß im Umgang mit Natur, sondern ein jeweils dem menschlichen Bedürfnis angepaßtes "Re-Investieren" in die natürlichen Lebensgrundlagen.

Es geht darum, die Chance eines möglichst hohen Kulturniveaus und Lebensstandards für jeden Menschen ohne Minderung der Möglichkeiten anderer Menschen und zukünftiger Generationen zu wahren, und, so würde ich sagen, zu vermehren. Der ländliche Raum bietet in diesem Sinn elementare Funktionen:

  • Er ist solarer Retentionsraum und daher der Ort freier Energie, Quell von Biomasse und damit entscheidender Lebensgrundlagen (Nahrung und Energie). Er ist Speicher von Energie in gebundener und freier Form und Speicher von Wassser.
  • Er ist Reproduktions- und Dissipationsraum und zwar sowohl in stofflicher Hinsicht (CO2-Reduktion, Wasserkreislauf, Luftreinhaltung) als auch im Sinne der psychologischen Befreiung des Menschen von sozialem Anpassungsdruck und Enge. In diesem Sinn ist er die elementare Voraussetzung physischer und psychischer Gesundheit.
  • Er ist Speicher von unfassbarer genetischer Diversität, aber auch von kulturellem Erbe, das in den Werken vergangener Generationen und im Wissen der heute Lebenden besteht. (Siehe dazu eine interessante und fundamentale Arbeit hier).
Der ländliche Raum ist somit die Nachhaltigkeitsreserve schlechthin.

Schon heute ist das Überleben der Großstädte nur möglich, weil ihr ökologischer Fußabdruck - der weit über ihre tatsächliche Größe hinausgeht - von den Reserven in ländlichen Räumen kompensiert wird.

So richtig die Forderung ist, die Städte nachhaltiger zu gestalten, so wichtig (und viel spannender) ist die Betonung der Revolutionierung des ländlichen Raumes als wichtigste Quelle von Leben und Ressourcen. Das könnte für einen großen Teil der Menschheit zur Berufung und zur alltäglichen Freude werden, an diesen Ressourcen zu arbeiten, wenn wir die Aufmerksamkeit auf einen Raum richten, der den Menschen viele Chancen die sie in den Städten verspielt haben zurückgibt - sowohl auf ein selbstbestimmtes Leben als auch ein Leben in Fülle. Der Mensch findet im ländlichen Raum mehr Handlungsmöglichkeiten vor, die die Ressourcenbasis der Menschheit unmittelbar beeinflussen. Diese Handlungsmöglichkeiten sind nicht im mindesten ausgeschöpft.

Und sie sind informationsintensiv. Spannend ist die Möglichkeit, in großem Umfang mit einer Fülle von natürlichen Prozessen zusammenzuarbeiten und sie so zu arrangieren, daß das Gesamtresultat die Ressourceneffizienz um Faktor Zehn oder Faktor 20 erhöht. Entgegen der landläufigen Meinung geschieht das weniger durch reine Einsparung, sondern durch neues intelligenteres Design aller stofflichen und energetischen Prozesse, durch komplexere Wirkungsketten, durch besseres Arrangement, durch Füllen von "missing links".

Die Permakultur gibt ein gutes Beispiel, aber wie ist es erst, wenn wir selbst mit unseren Automaten und Maschinen teilnehmen an diesem Lebensprozeß? Wir sind dann keine Schädlinge, sondern Nützlinge, aber Schaden und Nutzen schließen den Menschen mit ein. Wir könnten, wenn wir wollten, darüber Nachdenken wie die Sahara großflächig wieder zum Waldgebiet wird, wir haben ganz neue und unglaublich effiziente Pionierpflanzen wie den Pauloniabaum, wir könnten an jedem Ort der Welt einen Garten Eden schaffen, und durch den Informationsaustausch soziokulturelle gefälle systematisch zu minimieren versuchen.

Finden Sie davon irgendeine Spur in den Zielvorgaben unserer Politik und unseres Wirtschaftssystems?

Nein, denn da geht es um Wachstum von Geld in den Händen derer, die es besitzen. Erst wenn dieser Prozeß stillgelegt ist, kann die Natur ein Segen werden. Aber auch diesen Übergang versuche ich systemisch zu denken: wie kann die derzeitige Wirtschaft Inseln und Keime der Nachhaltigkeit fördern und ernähren? Wie gelingt es, die Geldbesitzer zu Mitprofiteuren zu machen, ohne daß sie den Prozeß bestimmen?

Können Sie den Begriff Nachhaltigkeit in einem Satz umschreiben?

Der Mitwelt und Umwelt die Lebensgrundlagen erhalten.

Wie sieht für Sie ein (ideales) nachhaltiges Leben aus? Praktizieren Sie einen nachhaltigen Lebensstil? Wenn ja, wie konkret?

Ich glaube, es ist aus meinem Nachhaltigkeitsbegriff klar geworden, daß für mich die Nachhaltigkeit viele Lebensstile erlaubt, daß es in den Globalen Dörfern auch viele Lebensstile geben kann, daß es aber darauf ankommt, daß diese Lebensstile grundsätzlich um ein Modell der menschlichen Produktion oder des Wirtschaftens im weitesten Sinn herum aufgebaut sind, die systemisch Lebenschancen eher schaffen als vernichten.

Es ist keine Frage des Lebensstils ob ich mir meine behagliche Wärme über ein Passivhaus mit Wandheizung schaffe oder über einen Ölkessel im Keller. Also das nachhaltige Leben ist für mich keines der Selbstbeschränkung oder der Armut, sondern eines, das mit dem richtigen, also mit gar nicht unbedingt wenig, Aufwand ein Maximum an positiven Folg- und wenn man so will Nebenwirkungen erzeugt.

Natur und die Arbeit mit ihr ist unbeschränkt lohnend, der Mensch darf und soll einer Fülle von Lebensprozessen und lebendigen Organismen Lebensgrundlagen verschaffen, indem er immer das komplexe Zusammenspiel des Lebendigen als Modell seiner Handlungen vor Augen hat, in dem jeder einzelne Prozeß seine Wirkungs- und Bedingungsketten in einem Kreislauf hat.

Je weniger das als Aufwand, Arbeit und Investition erscheint, je mehr es zur quasi naturwüchsigen Begleiterscheinung und Nebenwirkung unserer Aktivitäten wird, umso besser.

Ich führe in diesem Sinn nur sehr bedingt einen nachhaltigen Lebensstil. Mein größter Beitrag zur Nachhaltigkeit besteht darin, daß ich Ideen und Muster die ich generiere, nicht für mich behalte, daß ich sie frei streue und zugänglich mache wie eine Pflanze ihre Samen. Das ist ein Bereich in dem ich das Gefühl habe effizient sein zu können und Nachhaltigkeit zu leben.

Ansonsten lebe ich in einem Hotel das noch eine Ölheizung im Keller hat, und es würde wahrscheinlich jemand anders sich jetzt eher darauf konzentrieren dort eine Korrektur zu machen. Das fällt mir zum, Beispiel sehr schwer, ebenso wie vieles andere.